Abstrakte Kunst vom Computer

Gratisprogramme erzeugen Bilder aus dem Nichts. Meisterwerke entstehen aber nur mit dem richtigen Input des Benutzers.

Von Matthias Schüssler

Kandid, ContextFree und Chaoscope sind drei kunstschaffende Computerprogramme. Sie erzeugen kein Abbild der Realität, sondern Computergrafiken aus dem Nichts: Faszinierende, abstrakte Bildkreationen mit strengen Strukturen, die gleichwohl spielerisch leicht und filigran wirken. Die drei Gratisprogramme liefern immer neue Kreationen, eine per Mausklick ausgelöste Bilderflut.

Ob digitale Kunst oder digitaler Müll entsteht, hängt aber vom kreativen Kopf ab, der die Software bedient. Über seine Vorgaben lenkt der Anwender den Schaffensdrang der Programme in geordnete Bahnen. Er steuert die Programme entweder nach Gutdünken und aus dem Bauch heraus oder über ausgefeilte Programmierung.

Die Bildermaschinen generieren ihre Motive anhand unterschiedlicher Konstruktionsprinzipien. Diese sind der Mathematik, der Biologie oder der Sprachwissenschaft entlehnt.

Kandid verwendet ein evolutionäres Prinzip: Der Anwender bestimmt den so genannten Evolutionsalgorithmus, das heisst, er wählt aus 16 Möglichkeiten die gewünschte Methode zur Bilderzeugung. Kandid errechnet nach dem Zufallsprinzip eine Reihe von Varianten, von denen der Anwender die beiden schönsten auswählt und zu den «Eltern» für die nächste Generation macht. Über die Einstellungen «Mutationen» und «Vererbung» bestimmt der Anwender, wie die «Gene», das heisst die Farbe und der Algorithmus, zur Bilderzeugung weitergegeben werden. Das Java-Programm läuft auf dem Mac und unter Windows:
http://kandid.sourceforge.net.

Skurrile Gebilde aus Plasma und Licht

Chaoscope basiert auf der Chaostheorie. Die erzeugten Objekte sind Fraktale, also eine besondere Form geometrischer Formen im dreidimensionalen Raum; man verwendet auch den Begriff «seltsamer Attraktor» für die skurrilen Gebilde, die an Luftströmungen, Farnblätter oder andere Naturphänomene erinnern. Über den Befehl «File > Load» im Ordner «Parameters» stellt man eine Reihe von seltsamen Attraktoren bereit, die man als Anwender im Raum drehen und über die vielen Parameter verändern kann. Je nach Darstellungsmodus erscheint der Attraktor dann als festes Objekt, als Flüssig- oder Lichterscheinung – eine Augenweide!
www.chaoscope.org

ContextFree ist das anspruchsvollste, aber auch das vielseitigste Programm. Bei ihm werden Bilder über die Programmiersprache CFDG (Context Free Design Grammar) erzeugt. Sie geht, obwohl sie visuelle Ergebnisse zeitigt, auf die Erkenntnisse des Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky zurück.

Mit der CFDG-Sprache entstehen aus einigen wenigen Zeilen Code komplexe grafische Gebilde. In die Sprache muss man sich erst einarbeiten, was man am einfachsten anhand der Beispiele tut, die über «Examples > Lesson» abrufbar sind. ContextFree läuft auf dem Mac und unter Windows:
www.ozonehouse.com/ContextFree

Kandid & Co. eröffnen Bildermenschen unendliche Tummelfelder und ein unbekanntes visuelles Universum. Für dessen Erforschung ist allerdings eine gute Portion Experimentierfreude nötig.

SCREENS TA

Nicht von dieser Welt, sondern aus dem PC: Digital generierte Bilder von Chaoscope und ContextFree.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 10. April 2006

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