Kameras ohne Fehl und Tadel

Die Digitalfotografie hat die Kinderkrankheiten hinter sich gelassen. Deswegen wird der Kamerakauf nicht einfacher – zu unterschiedlich sind die Vorzüge der aktuellen Modelle.

Von Matthias Schüssler

Wer schlechte Fotos schiesse, sei selber schuld, behauptete vor kurzem ein namhafter japanischer Elektronikkonzern in einem Inserat für seine Digitalkameras. Für einmal ist die Werbebotschaft nicht übertrieben. Missratene Aufnahmen lassen sich nicht länger der unausgereiften Technik anlasten. Zumindest die teureren Modelle haben die Kinderkrankheiten der Digitalfotografie weitestgehend hinter sich gelassen. Lästige Mankos wie eine ewig lange Aufstartzeit, eine zu grosse Auslöseverzögerung, Blockaden während der Datenverarbeitung oder ein riesiger Energiehunger sind immer weniger zu beobachten. Die digitalen Spiegelreflexkameras, die es schon für unter 2000 Franken gibt, haben diese Mankos abgelegt. Und sie fühlen sich beim Fotografieren an wie eine unkomplizierte Kleinbildfilm-Kamera ohne komplizierte Elektronik und aufwändige Bildverarbeitung.

Megapixel sind nicht alles

Wer eine Digitalkamera kauft, braucht sich im Vergleich zu früher weniger Gedanken über die digitalen Merkmale zu machen. Die Auflösung war früher eine der entscheidenden Eigenschaften einer Digicam. Heute darf man dieses Kriterium getrost als nebensächlich betrachten – die gängigen Kameras bieten Megapixel zur Genüge. Mit fünf Millionen Bildpunkten kann man seine Aufnahmen in guter Qualität ausgeben, und selbst bei drei Millionen sind Vergrösserungen im gängigen Format von 10 auf 15 Zentimeter möglich. Sieben Megapixel brauchen selbst anspruchsvolle Amateure kaum. Sogar wenn die Kamera diese Auflösung beherrscht, wählt man besser eine niedrigere Bildgrösse. Man spart Speicherplatz und schiesst dafür längere Bildserien.

Mit anderen Worten: Es gibt viel wichtigere Dinge als Megapixel und Displaygrössen. Die Kamera muss zu den Fotografiergewohnheiten passen. Äusserlichkeiten wie Grösse und Gewicht sind entscheidend. Kaufen Sie keine Spiegelreflex, wenn sie nicht gewillt sind, eine Fototasche von zwei Kilo herumzutragen. Umgekehrt taugt die handliche Kompaktkamera nicht, wenn Sie nächsten Sommer für eine Safari nach Kenya reisen: Sie müssten Ihren Models näher kommen, als Ihnen lieb ist, um Löwen oder Nashörner ausreichend gross vor die Linse zu kriegen.

Wie klein ist gross genug?

Wer eine Kamera für jede Gelegenheit sucht, achtet auf die kompakte Bauweise, auf ein leichtes Gewicht und einfache Bedienung. Auf Schnappschüsse erpichte Fotografen benötigen ein reaktionsschnelles Modell, das gut in der Hand liegt und deshalb nicht allzu klein sein sollte. Freunde der speziellen Aufnahmen fassen eine Megazoom-Kamera ins Auge: Geräte dieser Kategorie bieten ein Objektiv mit Zehnfach- oder gar Zwölffach-Zoom und rücken weit entfernte Objekte oder Personen gross ins Bild.

Spiegelreflex immer attraktiver

Für ambitionierte Fotografen kann die Wahl eigentlich nur auf eine Spiegelreflexkamera fallen. Keine andere Kameragattung ist so vielseitig einsetzbar und so leistungsfähig. Über Wechselobjektive hat der Fotograf die Möglichkeit, sich auf fast jede Situation einzustellen – während Zoom-Objektive der passenden Brennweite Flexibilität bei der Wahl des Bildausschnitts bieten, gelingen mit einem Festbrennweitenobjektiv auch bei schwierigen Lichtverhältnissen gute Aufnahmen.

Wer Erfahrungen mit einer analogen Spiegelreflexkamera hat, wird sich mit einem digitalen Gegenstück nicht umgewöhnen müssen – die Nikon D70s bietet beispielsweise alle Vorzüge, die Fotografen seit jeher an einem semiprofessionellen Arbeitsinstrument schätzen. Sie ist nach dem Einschalten sofort aufnahmebereit und hat keine merkliche Auslöseverzögerung (ältere Digicams brauchten nach dem «Klick» bis zur Aufnahme eine Sekunde oder noch länger). Und sie macht selbst mit Blitz mehrere hundert Bilder, bevor der Akku an die Steckdose muss. Der Preis ist inzwischen kein Argument mehr gegen die Spiegelreflex – die Nikon D70 ist mit 18-70-mm-Zoom für unter 2000 Franken erhältlich. Und die alten Nikon-Objektive passen auch auf die neue Kamera.

Durch Digicams sozialisierte Anwender reagieren mitunter irritiert, weil das Display einer Spiegelreflex nur zum Sichten bereits aufgenommener Bilder taugt und konstruktionsbedingt keine «Live»-Bilder durchs Objektiv zeigt. Gestandene Fotografen ziehen den optischen Sucher allerdings dem Display vor – sowohl bei hellem Sonnenschein als auch bei Nachtaufnahmen ist auf den Minibildschirmchen eh nicht viel zu erkennen.

Ein wichtiges Kriterium bei allen Kameras (ausser den Spiegelreflex-Modellen) ist die Brennweite. Sie bestimmt, wie frei man den Bildausschnitt wählen kann. Ein Dreifach-Zoom ist das Minimum. «Dreifach» bedeutet, dass die maximale Brennweite dreimal grösser ist als die minimale, wobei die Brennweite wiederum das Mass für die «Vergrösserung» ist. Bei einer kleinen Brennweite von z. B. 18 Millimeter macht man Weitwinkelaufnahmen und kriegt den Petersplatz in Rom ganz auf sein Bild. Mit 50 Millimeter fängt man den Petersdom formatfüllend ein, und mit einer Tele-Einstellung von 210 Millimeter lichtet man das Gesicht eines Schweizergardisten ab. Die Weitwinkel-Einstellung der Kamera sollte 35 Millimeter oder kleiner sein, sonst eignet sie sich nicht für Gruppenbilder oder architektonische Motive.

Zu der Brennweite gibt es zweierlei zu beachten: Ein digitales Zoom nützt gar nichts, nur optische Zooms sind brauchbar. Manche Digitalkameras verwenden ausserdem andere Brennweiten, als man sie aus der analogen Fotografie kennt. Man spricht von einer Brennweitenverlängerung. Sie muss man kennen, um die Brennweiten vergleichen zu können.

Wer nicht genügend Erspartes für eine Spiegelreflexkamera auf der hohen Kante hat, aber dennoch gewisse Ansprüche stellt, bedient sich in der Mittelklasse. Eine gute Wahl ist eine Megazoom-Kamera. In dieser Kategorie machen beispielsweise die Lumix DMC-FZ30 von Panasonic (ab ca. 870 Fr.) oder die Canon Powershot S2 IS (ca. 720 Fr.) Furore – beide mit Zwölffach-Zoom. Bereits ab rund 550 Franken gibt es eine Megazoom-Kamera von Sony, nämlich die Cyber-shot DSC-H1.

Heilmittel gegen Zitterhände

Die Lumix – sie deckt die Brennweite von 36 bis 432 Millimeter ab – liefert in vielen schwierigen Situationen bessere Bilder als die Konkurrenz, weil sie über einen wirkungsvollen Bildstabilisator verfügt. Damit verhindert sie verwackelte Bilder bei langen Belichtungszeiten und den längeren Brennweiten. Denn bei den digitalen Kameras gilt grundsätzlich die alte Fotografenregel: Holt man per Zoom weiter entfernte Objekte heran, braucht man eine kurze Belichtungszeit, sonst verwackelt man die Aufnahme. Die Faustregel lautet, dass die Belichtungszeit in Sekundenbruchteilen gleich gross oder höher sein sollte wie die Brennweite. Mit der Tele-Stufe 70 sollte man nicht länger als 1/70-Sekunde belichten – was aber bei den kleinen und lichtschwachen Digicam-Objektiven schon an bewölkten Tagen nicht mehr zu erreichen ist. Da wirkt der Bildstabilisator Wunder.

Auf einen eingebauten Blitz sollte man nicht verzichten. Denn selbst wenn Blitzaufnahmen oft wenig ästhetisch wirken, sind sie verwackelten oder unterbelichteten Bildern vorzuziehen. Ausserdem sind viele moderne Digicams intelligent genug, bei Gegenlichtaufnahmen automatisch einen Aufhellblitz zu zünden: Statt schwarzer Silhouetten sieht man dann auch die Gesichter abgelichteter Personen.

Variable Empfindlichkeiten

Anspruchsvollere Fotografen fragen in diesem Zusammenhang nach den Möglichkeiten, die Lichtempfindlichkeit des Bildsensors zu variieren. Semiprofessionelle Modelle haben eine ISO-Einstellung, die man bei Bedarf auf 800, 1600 oder gar 3200 ISO erhöht. So gelingen die Bilder, selbst wenn man bei Dämmerung aus der Hand schiesst. Der Preis ist ein Bildrauschen, das sich bei Flächen als Rieseln äussert. Wer gern Schnappschüsse macht, achtet darauf, dass die Kamera nach dem Einschalten schnell aufnahmebereit ist – viele Gelegenheiten sind unwiederbringlich vorbei, wenn die Kamera fünf Sekunden zum Aufstarten braucht.

Auch im Bereich der günstigen Kameras bis 800 Franken hat sich viel getan. Die Modelle legen zwar keine Formel-1-Qualitäten an den Tag, eignen sich aber gut für das Knipsen zwischendurch. Beispielsweise die recht schnell fotografierende Exilim Z57 von Casio (ca. 400 Fr.). Oder die Mju Digital 800 aus dem Hause Olympus (ca. 500 Fr.), deren Bildqualität überzeugt. Oder die Pentax Optio S5z, die lediglich 55 auf 83 Millimeter misst und 21 Millimeter tief ist (ca. 400 Fr.).

Und zuletzt – kaufen Sie die Kamera im Fachgeschäft und nicht im Grosshandel oder per Internet. Denn nur wenn Sie die Kamera ausprobieren, sind Sie sich sicher, dass alle Bedienelemente gut erreichbar sind. Nur wenn Sie sich durchs Menü hangeln, sehen Sie, ob Sie mit den Einstellungsmöglichkeiten zurechtkommen. Und nur wenn Sie Probebilder schiessen, wird Ihnen klar, ob Sie das richtige Instrument für die Bilderjagd in Händen halten.

BILD MARTIAL TREZZINI/KEYSTONE

Nicht mehr wegzudenken: Wenn es heute irgendwo Klick macht, dann ist fast immer eine Digitalkamera im Spiel – mit synthetischem Klick-Geräusch.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 5. Dezember 2005

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