Photoshop 5 macht alles rückgängig

Sehnliche Wünsche gehen mit Photoshop 5.0 in Erfüllung: Adobe beschert den Benützern der Profi-Bildbearbeitungssoftware Funktionen, die lange auf sich warten liessen: So mehrfaches Rückgängigmachen und editierbaren Text mit ausgefeilten Formatierungsmöglichkeiten.

Von Matthias Schüssler. Adobe will sich mit der neuen Photoshop-Version nicht lumpen lassen: Die Programmentwickler haben nicht einfach «nur» mehrfaches «Undo» und «Redo» implementiert, sondern gleich eine «History»-Palette. Diese Palette listet die letzten Arbeitsschritte auf und bietet die Möglichkeit, mehrere Arbeitsschritte rückgängig zu machen und auch wiederherzustellen. Dies ermöglicht Gestaltern einen freieren und experimentelleren Umgang beim Bearbeiten der Bilder: Es ist leichter möglich, Manipulationen probehalber anzuwenden, ohne dass man sich um die früher notwendigen Zwischenspeicherungen kümmern muss. Zwischenstände lassen sich ausserdem leicht als «Schnappschuss» festhalten und stehen in der History-Palette brüderlich Seite an Seite.

Wenn man will, kann man sogar die nichtlineare «Geschichtsschreibung» aktivieren – dies ermöglicht es, einzelne Bearbeitungsschritte zu entfernen oder wiederherzustellen, ohne dass die nachfolgenden Operationen «hineinfunken».

Doch auch damit gab man sich bei Adobe noch nicht zufrieden: Der neue Photoshop wird auch ein «History»-Pinselwerkzeug enthalten, mit dem sich frühere Bildteile selektiv restaurieren lassen.

Ein Grund für Verwirrung: Actions und History

Erste Erfahrungen mit dem neuen Photoshop zeigen, dass Benutzer oft Mühe haben, die History-Palette von den Photoshop-Actions zu unterscheiden. Diese Actions hielten mit der Version 4 Einzug in den Funktionsumfang und ermöglichen es, Funktionsabläufe aufzuzeichnen, und auf andere Bilder anzuwenden. Der Unterschied zwischen History und Actions: Die Actions sind ein Protokoll aufgerufener Funktionen; Photoshop merkt sich also lediglich die Befehle und Funktion, die ein Benutzer nacheinander aufgeruft. Dementsprechend bescheiden ist der Speicherbedarf dieses Werkzeugs. Die History-Palette dagegen sammelt Zustände – mit jedem Undo-Schritt wird eine vollständige Fassung des Bildes abgespeichert und in der History-Palette verfügbar gemacht. Das belastet den Arbeitsspeicher und die «Scratch»-Disks. Deshalb sei auf das Menü «Bearbeiten» – «Entleeren» hingewiesen, wo bei einem Speicherengpass Zwischenschritte verworfen werden können.

Dieses «Navigieren» innerhalb der Enstehensgeschichte eines Bildes ist sicher das markanteste Merkmal des kommenden Updates. Doch auch sonst tut sich einiges unter der Photoshop-«Motorhaube».

Text bleibt bearbeitbar

Das Textwerkzeug des neuen Photoshops hat markant an Intelligenz dazugewonnen – Text bleibt editierbar. Spezialeffekte, welche dem Text zugewiesen worden sind, werden bei einer nachträglichen Textmodifikation automatisch nachgeführt. Photoshop 5 enthält eine Vielzahl an Möglichkeiten der Textformatierung, inklusive hochqualitativer typografischer Merkmale. Für diese Textelemente richtet das Programm eigens eine spezielle Textebene ein, wodurch es nicht mehr nötig ist, die Buchstaben ins Bild «einzustanzen». Für nachträgliche Textänderungen genügt somit ein Doppelklick.

Highend Bildbearbeitung

Adobe will Photoshop 5.0 unmissverständlich auf den Profi-Markt ausrichten. Dies ist einerseits am deutlich erhöhten Preis erkennbar, andererseits zeigen die Bemühungen in Sachen Farbpräzision und -management in diese Richtung. Photoshop soll das Werkzeug sein und bleiben, mit dem Profis hochpräzise Bildbearbeitung betreiben. Da sind die Bestrebungen sicherlich richtig, das Programm auf alle gängigen Workflows einzuschwören. Laut Adobe lassen sich gar verschiedene Farbmanagementmethoden kombinieren.

Der «Herr der Pixel» unterstützt neben der bekannten proprietären Farbmanagementschnittstelle neu den Industriestandard ICC-Profile. ICC-Tags werden bei Bedarf in die Bilddatei übernommen.

Die Bildschirmdarstellung wird farbtreuer, denn ein «Gamma»-Kontrollfeld ermöglicht es dem Benutzer, die Farbdarstellung des Monitors zu kalibrieren und als Apple ColorSync oder zu Microsoft ICM-kompatiblem ICC-Profil auszugeben. Dieses Kontrollfeld soll künftig in allen Adobe-Programmen zum Einsatz kommen. Unter dem Stichwort «Non-monitor RGB» unternimmt Adobe Anstrengungen, RGB-Daten auf einen idealen Farbraum umzurechnen. Somit erleichtere man den Benützern den Austausch von Daten untereinander, da unterschiedliche Monitordarstellungen kompensiert werden.

Tonwertzuwachs unter Kontrolle

Doch obwohl es ein neues Farbmanagementsystem gibt, behandelt Adobe das von Vorgängerversionen gewohnte nicht etwa stiefmütterlich: Eine «Dot-Gain Curve» ermöglicht es, den Tonwertzuwachs zu regulieren. Tonwert-Zuwachs bezeichnet die Eigenheit von Papier, während des Druckprozesses Wasser oder Tinte zu absorbieren, wodurch die Farben dunkler erscheinen als erwartet.

Mit der neuen Version erlebt eine ebenfalls spannende Funktion ihre Premiere: Schmuckfarben. Die Kanalpalette wird es künftig zulassen, Pantone-Kanäle zu definieren. Damit können Pantone-Farben und allerlei Spezialfarben, wie Metalltöne etc., zum Einsatz gelangen. Die Separation kann direkt mit Photoshop oder in einem DCS 2.0-kompatiblen Programm erfolgen.

Die neue Version des Pixelmanipulators bringt erweiterte Unterstützung für Bilder mit hohen Farbtiefen. Im Highend-Bereich kann das Programm höhere Farbtreue gewährleisten, indem statt 8 bit 16 bit pro Farbkanal angelegt werden. Dies ergibt 48 bit pro Pixel bei RGB- und stolze 64 bit pro Bildpunkt bei CMYK-Bildern. Photoshop bietet die elementar notwendigen Befehle zur Farbkorrektur und -verbesserung, also Tonwertkorrektur, Gradationskurven, Farbbalance, Kontrast, Farbton und Sättigung und weitere.

Ebeneneffekte «live»

Im Menü «Ebenen» findet man neu das Submenü «Effekte». Dieses stellt verschiedene Effekte bereit, die einer Ebene zugewiesen werden können. Tut man solches, erhalten alle Elemente dieser Ebene den entsprechenden Effekt zugewiesen. Diese Effekte entstehen «live», d.h. werden bei allen Modifikationen auf der Effektebene berücksichtigt. Als Effekte standen in der von uns getesteten Betaversion zur Verfügung: Schattenwurf nach innen und aussen, «inwendiges» und «auswendiges» Glühen und Relief.

Bei Bedarf kann der Effekt auch ausgeblendet – damit wird die Bearbeitung schneller – oder auf andere Ebenen übertragen werden.

Magnetismus

Bei den Werkzeugen hat der Magnetismus Einzug gehalten: Ein magnetisches Lassowerkzeug unterstützt einem beim Anlegen einer Auswahl, indem sich die Begrenzungslinie automatisch an die «vernünftigste» Kontur im Bild anschmiegt. Dasselbe gilt für den magnetischen Stift. Beim Anlegen von Bézier-Kurven hilft ein Pfadwerkzeug, der «Freiform-Stift». Dieser macht es überflüssig, dass man zuerst eine Auswahl aufzieht und in einen Pfad umwandelt.

Winkel und Distanzen messen

Für genaustes Arbeiten kann man auf das Messwerkzeug zurückgreifen: Dies gibt Aufschluss über Distanz (in den Masseinheiten, die auch sonst zur Verfügung stehen) oder über den Winkel zwischen drei Punkten. Ausserdem gibt es neu ein Tool namens «Farbprüfer». Bis zu vier dieser «Mess-Sonden» können im Bild plaziert werden und bieten eine genaue Analyse der Farbwerte in diesem Bereich. Ein 3D-Plug-In stellt im Photoshop Funktionalität zur Verfügung, die früher via externe Plug-Ins dazugekauft werden musste. Dieses Plug-In – zu finden unter «Filter», «Rendering-Filter» – ermöglicht es, ein Bitmap auf ein geometrisches Objekt, wie eine Kugel, einen Zylinder oder Quader, zu projizieren.

Automatisierung

Als letzte grosse Neuerung seien die «Automation»-Plug-Ins genannt. Die Aufgabe dieser «Steckmodule» ist also nicht, neue Funktionen zu bieten. Sie erweitern die Plug-In-Architektur des Photoshops im Hinblick auf Automatisierungsaufgaben. Ein solches Plug-In kann als «Wizard» oder «Assistent» auftreten und den Benutzer Schritt für Schritt ans Ziel einer bestimmten Aufgabe leiten. Photoshop 5 hat diverse solcher Automatisierungs-Plug-Ins im Gepäck, u.a. folgende Assistenten: «Bildgrösse neuberechnen», «Transparente Bilder exportieren» und «Batch command», mit dem eine Photoshop-Aktion batch-mässig für eine grössere Anzahl von Dateien ausgeführt werden kann.

«Family business»

Im Verbund mit den anderen Adobe-Programmen haben weitere Annäherungen stattgefunden: Photoshop hat einen robusteren Parser für Illustrator- und generische EPS-Grafiken erhalten und kann nun auch PDFs rastern – sogar mehrseitig! Weiter beherrscht Photoshop dank der Unterstützung von Schmuckfarben nun auch das Öffnen von EPS-Grafiken im DCS 2.0-Format.

Unter der Haube

Auch unter der Oberfläche hat sich einiges getan: Adobe hat programmtechnisch Funktionen für Oberfläche/Benutzerinteraktion und die Bildbearbeitungsroutinen auseinanderdividiert. Das Herzstück des Programms sind also die Grafikfunktionen («Core-Engine»), auf die «von aussen» via Programmierschnittstellen (sog. APIs) zugegriffen werden kann. Damit hat Adobe die Möglichkeit, die Core-Engine getrennt zu lizenzieren oder mit einer völlig anderen Benutzeroberfläche zu versehen. Auch ImageReady setzt auf der Core-Engine auf.

Wir konnten eine Betaversion testen, die zwar wieder einiges länger braucht, um aufzustarten, sonst aber erstaunlich stabil läuft und viele langerwartete Funktionen bietet.

Photoshop 5.0 wird bereits ausgeliefert und kostet in der Vollversion Fr. 1998.–. Das Update ist für Fr. 570.– zu haben. Infos sind unter Telefon 0800 55 51 54 erhältlich.

Quelle: M+K Computer-Markt, Montag, 1. Juni 1998

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Thema: Adobe Photoshop 5.0
Nr: 215
Ausgabe: 98-7
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