Rheinau: Dank den Funden an der Austrasse sind die Kelten besser bekannt

Neue Erkenntnisse über die kriegerischen Kelten

Als in Rheinau auf dem Gebiet einer Keltensiedlung der Neubau einer Postautogarage geplant war, mussten die Archäologen von der Kantonsarchäologie Zürich schnell reagieren. Welche Fundstücke sie bei der Rettungsgrabung anfangs Jahr retten konnten, und welche neuen Erkenntnisse sie über die Kelten gewannen, ist noch das ganze Wochenende in Rheinau zu begutachten.

(msc) Die Kelten müssen furchterregende Erscheinungen gewesen sein. Als stattliche, hochgewachsene Krieger, die sich reich mit Goldschmuck behängten, beschrieb ein Zeitgenosse die Bewohner im Raum Ostfrankreich, Südwestdeutschland und nordalpine Schweiz. Sie seien blondhaarig gewesen und hätten die Haare mit Kalkwasser gebleicht, damit sie dick und weiss wurden wie eine Pferdemähne und dem Kopfhaar der Naturgötter glichen. Imperator Julius Caesar bezeichnete die Helvetier, die zum Stamm der Kelten gehören, als «homines bellandi cupidi», als «‹kriegsgeile› Gesellen» also, nachdem er sie 58 v.Ch. in Bibracte besiegt hatte. Ob die Kelten in Rheinau zu derselben Zeit das nun gefundene Oppidum aufgegeben haben, um unter der Führung Orgetorix’ nach Gallien auszuwandern, können die Archäologen noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Andere Erkenntnisse über die Kelten jedoch sind neu und spannend.

Wenn auf Gemeinden Baubegehren in archäologisch interessanten Gebieten eingehen, müssen diese das der Kantonsarchäologie mitteilen. Als an der Austrasse der Bau einer Postautogarage geplant war entschied man, eine Rettungsgrabung durchzuführen. Seit der Freilegung eines Befestigungswalls 1991 war die Vermutung gesichert, dass die Kelten eine strategisch und verkehrstechnisch wichtige Siedlung auf den beiden Halbinseln im Rhein unterhalten hatten – die Fundstücke mussten vor dem Bagger gerettet werden.

Keltisches Schmiedehandwerk

Dank der Unterstützung der Bauherrschaft konnte im Februar 1994 die Ausgrabung beginnen, die bis zum Juli dauern und rund eine halbe Million Franken kosten sollte. Stefan Schreyer war der Leiter der Ausgrabung, anlässlich eines Informationsabends erklärte, was die zehn Archäologen auf dem 850m² grossen Gebiet gefunden haben. «Leider ist die Oberfläche, wohl beim Bezirkssängerfest 1897 abgetragen worden», sagt Schreyer, doch tiefer im Boden fand man 18 Gruben. Drei der Gruben konnte man bis heute bestimmen. Es waren Schmitten eines Schmieds – dank ihnen weiss man heute, wie die Kelten dieses Handwerk betrieben. Man fand Hammerschlag – Abfall der beim Aushämmern entsteht. Werkzeuge des Schmieds waren da: Ein Hammer aus Eisen, ein Einsteckamboss und eine Feile. Weiter ein Düsenziegel mit zentralem Luftloch zur Belüftung der Esse. An Produkten der Schmiedekunst fand man bronzene Schlüsselfiebeln, mit denen die Kelten ihre Gewänder zusammenhielten, Spannringe, eine Gefäss-Atache in Form eines Entenkopfs, eiserne Nägel und Sicheln, ein Messerfragment, und der Griff eines Weinsiebs. Und eine echte Rarität: Ein Metallspiegel mit Zinnauflage – nur wohlhabende Frauen dürften eine derartige Kostbarkeit besessen haben.

18 Münzen in 30 Tonnen Erde

Dreissig Tonnen Material vom Bauplatz wurde abtransportiert, um es zu «schlämmen», das heisst auszusieben. Auch 18 kleine Silbermünzen gingen dabei ins Netz, jede kaum fingernagelgross und 0,3 Gramm schwer. Es sind hauptsächlich «Quinare» darunter, Münzen, die im ersten Jahrhundert v.Chr. einen Wert von einem halben Denar hatten, und oft mit der keltischen Pferdegöttin Epona geschmückt waren. Neben Keramik – Amphoren, Töpfe, Schalen und Schüsseln – fanden die Archäologen einen Schreibgriffel aus Horn, mit dem die Kelten nach römischem Vorbild wachsbeschichtete Holztäfelchen beschrifteten.

Wozu die anderen Gruben dienten, ist noch unklar. Vielleicht waren es Erdkeller, vielleicht Abfallgruben, spekuliert Stefan Schreyer: «Die Auswertung wird jedenfalls noch einige Jahre dauern.»

Ausstellung und Demonstration

Die Ausstellung über die Fundstücke im Mehrzweckraum der Alterswohnungen ist samstags und sonntags noch offen, jeweils von 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr. Am Samstagvormittag ab 10 Uhr arbeitet ein Schmied an der Esse, die gemäss den Funden rekonstruiert werden konnte. Diese Demonstration findet vor dem Mehrzweckgebäude statt.

Quelle: Der Landbote, Samstag, 30. September 1995

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Thema: Archäologische Notgrabung
Nr: 87
Ausgabe: 95-226
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