«Magische Avatare»

Welche künstliche Intelligenz malt mich am schönsten?

Die Lensa-App hat einen Boom ausgelöst: Diverse Apps übertrumpfen sich, wer mittels KI die schönsten virtuellen Selfies produziert. Wir vergleichen drei Herausforderer mit dem Original.

Matthias Schüssler

Was herauskommt, wissen wir erst hinterher – das ist auch bei den echten Porträtkünstlern wie hier im Sommer 2020 auf der Karlsbrücke in Prag nicht anders.

Da hat Lensa etwas Schönes angerichtet! Die App hat Ende des letzten Jahres die «magischen Avatare» erfunden: Das sind künstliche Porträtbilder, die Nutzerinnen und Nutzer in Heldenposen zeigen und uns in Ritter, Astronauten oder Anime-Figuren verwandeln. Als Ausgangsmaterial benötigt die App zehn bis zwanzig Selfies. Aus denen kreiert sie Illustrationen, die ihrerseits auf Fantasy-Illustrationen und Comicbildern aus dem Internet beruhen.

Einige der Bilder waren sexistisch oder rassistisch. Das ist kein Wunder, da das Internet voll von solchen Motiven ist und eine KI keinerlei eigenes Geschmacksempfinden hat. Der mediale Rummel hat Lensa jedenfalls nicht geschadet und eine Vielzahl von Trittbrettfahrern auf den Plan gerufen. Es stellt sich also die Frage: Ist das mehr vom Gleichen – oder haben diese Nachahmer neue, originelle Ansätze zu bieten?

Lensa: Das sind die Avatare der Original-App, an der sich die Herausforderer messen müssen.

Remini: Bilder, die als Profilbilder taugen

Remini ist kein KI-Neuling: Der Hersteller setzt die künstliche Intelligenz zur Bildverbesserung ein, beispielsweise, indem unscharfe Bilder nachgeschärft werden. Die App existiert für Android und fürs iPhone. Die Kosten: drei Franken für 50 Avatare.

Diese Kreationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich tatsächlich als Profilbilder nutzen lassen: Es gibt keine extravaganten Perspektive oder Ganzkörperbilder, sondern eine Ansicht wie aus dem Passfotoautomaten. Die Hintergründe sind meistens ruhig, ab und zu gibt es Farbkleckse oder einen Laubwald. Was wechselt, sind die Gesichtsbehaarung, Kopfbedeckung und Farbgebung: Von schwarzweiss bis expressionistischer Grünfärbung ist alles dabei.

Diese Avatare lassen sich gut in den sozialen Medien verwenden – doch abenteuerlich sind sie nicht.

Remini: Keine Helden, keine Astronauten, sondern wechselnde Hintergründe und Kopfbedeckungen.

Aiby: Lächeln verboten?

Aiby AI Art ist die teuerste der hier getesteten Apps: Für 112 Bilder sind zehn Franken vorzustrecken – und wie beim Porträtmaler in Paris, Rom oder Prag wissen wir erst hinterher, ob sich die Sache gelohnt hat. Diese App (fürs iPhone und Android) kommt Lensa am nächsten, denn auch sie verwandelt die Person auf den Selfies in einen mittelalterlichen Kämpfer, einen Jedi-Ritter, einen mystischen Heiligen und einen Comic-Helden im Grossstadtdschungel.

Diese App irritiert in mehrerer Hinsicht: Auf keinem einzigen dieser Bilder ist auch nur die Andeutung eines Lächelns zu sehen. Alle Figuren schauen so ernst, als ob sie das Schicksal der gesamten Menschheit auf ihren Schultern tragen würden – mindestens. Und es gibt auch einige Bildvarianten, in der der magische Avatar als etwas dicklicher Geschäftsmann in Sakko und mit Krawatte in Erscheinung tritt: Anscheinend ist für manche auch der Bürolist aus dem mittleren Management eine Heldenfigur.

So martialisch, so bierernst und überzogen hat Aiby das schlechteste Verhältnis von Preis und Leistung.

Aiby: Ein Lächeln kostet vermutlich extra.

Prequel: Maskulin, feminin und glubschäugig

Prequel ist eine erfreuliche Abwechslung. Auch beim Output dieser App (für Android und iPhone) finden wir Posen, die von Vin Diesel oder einem anderen testosteronstrotzenden Action-Helden aus einem Hollywoodfilm abgeschaut sind. Doch es gibt auch andere Darstellungen – im Fall meiner Porträts finden wir Männer, die sich ihrer weiblichen Seite nicht schämen oder einen metrosexuellen Touch haben. Es gibt Figuren, die lächeln, und solche mit Disney-haften Zügen, die ausdrücken, dass wir uns selbst nicht ganz so ernst nehmen.

Diese App liefert bloss 25 Varianten, ist im Vergleich aber auch am günstigen: Für diese Auswahlsendung sind drei Franken zu berappen.

Prequel: Die Figuren hier heissen Fantasy-Gott, Digital-Künstler, Techno-Cyberpunk, Cartoon und Schneekönig.

Fazit: Die Begeisterung hält sich in Grenzen

Die Prequel-App gewinnt diese Ausmarchung mit leichtem Vorsprung. Doch unter dem Strich zeigt sich, dass keine der Apps den anderen haushoch überlegen wäre – im Gegenteil: Diese «magischen Avatare» sind sich alle verblüffend ähnlich. Doch so überraschend ist das gar nicht, weil alle diese App mit der gleichen Software arbeiten. Die heisst Stable Diffusion und kann, da sie Open Source ist, von den App-Herstellern für ihre Avatare eingesetzt werden, ohne dass sie eine eigene KI entwickeln müssten.

Den Unterschied machen die Bilder, die als Ausgangsmaterial für die Avatare verwendet werden. Das heisst: Für wirklich originelle Avatare müssen wir Stable Diffusion selbst installieren (siehe Tipp zwei hier) und mit Bildern trainieren, die unserem Geschmack entsprechen. Das ist zwar möglich – allerdings bei weitem anspruchsvoller als die hier vorgestellten Apps.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 26. Januar 2023

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