Schüssler

Apps fürs Lebensende – und davor

Das Smartphone, das allwissende Orakel des 21. Jahrhunderts. Da liegt eine Frage auf der Hand: Weiss das Smartphone auch, wann uns die Stunde schlägt? Und klar: Hellsehen kann es nicht. Doch das Smartphone zählt unsere Schritte, kennt unseren Gewichtsverlauf und vielleicht sogar Puls und Blutdruck. Das müsste doch als Datenbasis für eine solide Prognose taugen – oder?

Natürlich gibt es Apps, die genau das behaupten: Final Countdown (2 Fr., für iPhone und Android) stellt Fragen zu Lebensumständen – um dann einen Countdown anzuzeigen, wie viele Jahre, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden einem noch bleiben. Deadline (iPhone) zapft Gesundheitsdaten an und ergänzt sie mit einem kurzen Fragebogen. Die App gibt die Lebenserwartung in Jahren an – die in meinem Fall markant von der Prognose von Final Countdown abweicht. Das Experiment mit diesen beiden Apps hinterlässt ein Gefühl wie ein Besuch beim Wahrsager am Jahrmarkt, der seine Weitsicht aus einer Kristallkugel bezieht.

In den Stores und im Web gibt es noch mehr Apps zum Tod. Das US-Onlinemedium Vox stellt einen Zusammenhang zu den Millennials her: Sie seien «death positive», stünden dem Tod positiv gegenüber. Einige Vertreter dieser Generation planen ihr Begräbnis mit Inbrunst, obwohl sie noch in den Dreissigern stecken. Und selbstverständlich tun sie das auch digital: Lantern.co ist ein Planungswerkzeug fürs Lebensende, das man für sich selbst oder für einen Angehörigen verwendet. Es gibt eine Vielzahl weiterer ähnlicher Dienste, namentlich Joincake.com, Empathy.com und Everplans.com.

Deadhappy.com ist eine Lebensversicherung. Sie hilft ihren Kunden auch, letzte Wünsche und Anordnungen zu hinterlassen. Wie die schrägen Promo-Videos andeuten, sind verschrobene Ideen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht – etwa, eine lebensgrosse nackte Bronzestatue von sich selbst herstellen zu lassen. Eine App will «Glück vermitteln», indem sie uns über unsere Sterblichkeit nachdenken lässt. Sie heisst We Croak (Wir beissen ins Gras) und schickt fünfmal pro Tag eine Push-Benachrichtigung mit einem Sinnspruch zum unausweichlichen Hinschied.

Dieser saloppe Zugang ist typisch angelsächsisch. Hierzulande ist das Angebot kleiner und auf Pietät gedreht. Die App «Beistand im Todesfall» hat den Look einer Todesanzeige. Sie hält eine To-do-Liste bereit und gibt Tipps zum digitalen Erbe. In Europa sind es die Wiener, denen eine besondere Beziehung zum Tod nachgesagt wird. Folgerichtig stammt die Last-App aus Österreichs Hauptstadt. In dieser App tragen wir ein, was wir unseren Angehörigen noch mitteilen wollten. Wir können angeben, wo wichtige Computer-Passwörter hinterlegt sind und welche administrativen Aufgaben warten.

Die App nimmt auch letzte Fotos und ein Video entgegen. Und sie erlaubt es, Anweisungen fürs Begräbnis zu treffen. Dann werden sogenannte Paten bestimmt: Sie müssen allesamt den Tod bestätigen, damit die Informationen an die Empfänger, die in der App eingetragen sind, verschickt werden.

Ein letztes Video für die Angehörigen? Das nimmt man nicht eben leichthin während einer Arbeitspause auf. Wem das eine zu direkte Konfrontation mit dem Tod ist, der konzentriert sich auf all die Dinge, die es im Diesseits zu tun gibt. Es existiert eine ganze Reihe von Bucket-List-Apps, denen wir unsere grossen Pläne und Projekte anvertrauen. Die bekannteste ist iWish. Die hält – für die Einfallslosen unter uns – eine Vielzahl an Ideen bereit. Eigene Ideen werden mit Titel, Beschreibung, Kategorie, Zieldatum und Ort erfasst und lassen sich als Collage, auf einer Karte oder als Liste anzeigen, in der die erreichten Ziele abgehakt werden.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 27. November 2022

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