Tech-Start-up Proton baut aus

Eine Schweizer Alternative zu den Google-Apps

Der Schweizer E-Mail-Anbieter Proton hat inzwischen auch Kalender, eine Cloud-Ablage und ein VPN im Angebot. Kann er so zum datengeschützten Online-Office werden?

Matthias Schüssler

Proton kennen viele als Schweizer Anbieter für verschlüsseltes E-Mail. Jetzt kommen einige weitere Produktivitätsanwendungen dazu.

So einfach wie Gmail – aber ganz auf den Schutz der Privatsphäre ausgelegt: Das war 2014 die Zielsetzung des Genfer Start-ups Protonmail. Drei Wissenschaftler des Cern sahen nach der Affäre um den US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden die Zeit für einen Maildienst gekommen, der die Daten der Nutzerinnen und Nutzer besser schützt, auf Verschlüsselung setzt und sich auf die Schweizer Datenschutzgesetze beruft.

So hehr dieser Anspruch ist: Im vergangenen Jahr musste das Unternehmen einräumen, dass der Anspruch auf Anonymität nicht absolut umsetzbar ist. Die Schweizer Behörden hatten den Anbieter gezwungen, auf ein Gesuch von Europol hin die IP-Adressen eines französischen Umweltaktivisten von Youth for Climate freizugeben: «Der Verdächtige hat Schweizer Recht gebrochen, und darum gab es keine Möglichkeit, den Entscheid des Justizministeriums anzufechten», hat Gründer und Chef Andy Yen damals getwittert.

Das Schweizer Start-up tritt in Konkurrenz zu den grossen Techkonzernen.

Dem Rückschlag zum Trotz setzt das Unternehmen auf sein Datenschutzversprechen und erweitert es noch: Ende Mai hat es sich von Protonmail in Proton umbenannt, mit Proton.me eine neue Internetadresse in Betrieb genommen und das Softwareangebot ausgebaut: Zusätzlich zur Mailanwendung gibt es auch einen Kalender, eine Cloud-Ablage und ein VPN. Das ist ein deutlicher Fingerzeig, dass sich Proton zu einer umfassenden Produktivitätslösung weiterentwickeln will. Textverarbeitung und Tabellenkalkulation seien aber nicht angedacht, teilt der Mediensprecher Edward Shone auf Anfrage mit.

Trotzdem: Mit den neuen Anwendungen tritt das Schweizer Start-up in Konkurrenz zu den grossen Techkonzernen. Aber kann es Google und Microsoft Paroli bieten?

Der Kalender

Wie schon beim Mail orientiert sich Proton auch im Kalender an Google. Der Kalender wirkt auf den ersten Blick vertraut und stellt alle zentralen Funktionen für normale und wiederkehrende Termine, inklusive Benachrichtigungen, zur Verfügung. Auch die Funktionen zur Zusammenarbeit sind vorhanden: Sie laden Teilnehmer zu ihren Terminen ein und richten für spezifische Zwecke separate Kalender ein, die Sie öffentlich oder für einen bestimmten Personenkreis freigeben.

Über das Zahnrad-Symbol und den Befehl «Einstellungen öffnen» gelangen Sie zur «Easy Switch»-Funktion, die Ihnen den Umstieg erleichtern soll: Sie importieren hier Daten von Google, Outlook und Yahoo und können auch lokal gespeicherte Kalender, Kontakte und E-Mails einlesen.

Proton Calendar hat unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Kalender von Google.

Zurückstecken muss Proton derzeit bei der Nutzung am Smartphone: Für Android-Telefone gibt es bereits eine Kalender-App. Auf Anfrage teilt Mediensprecher Edward Shone mit, dass die App fürs iPhone und iPad im Sommer folgen wird. Die Einbindung in die Kalender-App von Apple ist schon jetzt über einen Weblink möglich, aber die Konfiguration ist im Vergleich zu den direkt unterstützten Diensten von Microsoft, Google und Yahoo anspruchsvoller.

Drive, die Datenablage in der Cloud

Proton Drive ist die Dateiablage in der Cloud. Man deponiert hier Dateien, die verschlüsselt übertragen und gespeichert werden. Diese Extra-Sicherheit schränkt die Möglichkeiten ein. Da die verschlüsselten Dokumente auf dem Server nicht zugänglich sind, können sie nicht durchsucht oder online bearbeitet werden. Möglich ist, Dateien über einen Link anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Nutzerinnen und Nutzer können solche Freigaben mit einem Passwort schützen und einem Ablaufdatum versehen.

Bei Proton Drive deponiert man Dokumente und teilt sie mit anderen Nutzerinnen und Nutzern. Eine Online-Bearbeitungsmöglichkeit oder eine Synchronisation gibt es nicht.

Der Konkurrenz kann die Schweizer Lösung derzeit nicht das Wasser reichen. Dieser Rückstand liegt einerseits an den höheren Sicherheitsstandards, andererseits aber am frühen Entwicklungsstadium der Software.

Ein Alleinstellungsmerkmal hat Proton beim VPN: Es schützt die Kommunikation in unsicheren Umgebungen.

Insbesondere fehlt die komfortable Integration in die Betriebssysteme bzw. eine automatische Synchronisation der Datenbestände, wie man sie von iCloud Drive von Apple, Google Drive, Microsoft Onedrive oder Dropbox kennt. Dieser Abgleich erlaubt es, mit den Dokumenten in der Cloud annähernd so komfortabel arbeitet wie mit lokal gespeicherten Dateien. Er ist unverzichtbar, wenn Proton Drive sich als ernsthafte Alternative positionieren will.

Herkunftsverschleierung mit VPN

Ein Alleinstellungsmerkmal hat Proton beim VPN: Das ist eine Art Tunnel für die Datenübertragung, der die Herkunft der Datenpakete verschleiert. Er schützt die Kommunikation in unsicheren Umgebungen wie öffentlichen WLANs. Er erschwert das Tracking durch Datensammler. Und er erlaubt es Ihnen, sich virtuell in ein anderes Land zu versetzen, um Videos anzusehen, die nur für bestimmte Regionen freigegeben sind. Um Proton VPN zu nutzen, laden Sie von Protonvpn.com die App herunter, die die geschützte Verbindung herstellt.

Das VPN schützt Sie vor Lokalisierung, und es umgeht Geosperren. Für Gratisnutzer gibt es allerdings nur eine relativ langsame Verbindungsgeschwindigkeit.

Fazit: Ja, aber…

Kalender, Drive und VPN werten Proton beträchtlich auf. Trotzdem: Wer voll und ganz auf diese Schweizer Lösung setzt, muss für den Datenschutz schmerzliche Einbussen beim Funktionsumfang in Kauf nehmen. Aber als Ergänzung zu Google, Microsoft und Apple taugt Proton allemal, beispielsweise für die besonders sensiblen Termine, Daten und Mailkorrespondenzen. Ein triftiges Argument für Proton ist auch das VPN: So viele Anbieter es gibt, so schwierig ist es, eine Auswahl zu treffen – da kann es eine Entscheidungshilfe sein, dass Proton aus der Schweiz kommt.

Mail, Kalender, Drive und VPN sind mit Einschränkungen für Gratisnutzer zugänglich. Für die regelmässige Nutzung empfiehlt sich ein Abo, das ab 3.50 Franken pro Monat erhältlich ist.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 2. Juni 2022

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