Was in Wahrheit hinter den «Top Deals» steckt

Unser Autor hat in den letzten Jahren redlich versucht, sich von der Euphorie um den Black Friday anstecken zu lassen. Ein Selbsterfahrungsbericht.

Matthias Schüssler

Dieser Black Friday! Ehrlich, ich habe mich in den letzten Jahren angestrengt, die Erwartungen zu erfüllen, die der Handel und die Wirtschaft in uns Konsumenten setzen. Denn Shopping ist nicht dazu da, uns Vergnügen zu bereiten. Nein, mittels Konsum kurbeln wir die Wirtschaft an, und darum ist es eine todernste Bürgerpflicht.

Schamgebeugt muss ich gestehen, dass ich die Wirtschaft und uns alle habe hängen lassen. Bei jedem Black Friday der letzten Jahre habe ich gesucht wie ein Wilder. Ich habe vereinzelte Produkte sogar entdeckt, denen ich etwas hätte abgewinnen können, wäre nicht in jedem einzelnen Fall ein dickes Haar in der Suppe geschwommen. Dieser Laptop, wie ich ihn gerade brauchen könnte, der aber zu wenig Speicher hat. Ein Eau de Toilette, das aber bedauerlicherweise riecht wie der Affenkäfig im Zoo. Oder eine 150 Meter lange Lichterkette, bei der ich schon vom Hinsehen einen Stromschlag bekomme? Nein danke!

Was sind die Gründe für dieses eklatante Versagen? Die Meinungen gehen auseinander. Ich bin der Überzeugung, dass ich über ein angeborenes Schutzsystem verfüge, das mich vor Impulskäufen bewahrt – nämlich eine tief verankerte Resistenz gegen überzogene Versprechen. Meine Frau hingegen behauptet, ich sei schlicht geizig wie der sprichwörtliche Schotte.

Die Wahrheit ist allerdings eher banal: Auch wenn die Verkäufer und Onlinehändler von «Top Deals» und «Mega Sales» schwadronieren, geht es ihnen beim Black Friday darum, vor Weihnachten ihre Lager zu räumen. Es braucht Platz für die Güter, die wir zum vollen Preis kaufen werden, weil es uns peinlich wäre, unsere Liebsten mit den Dingen zu beschenken, die auf dem Grabbeltisch liegen geblieben sind.

Das ist auch die einfache Erklärung dafür, warum die meisten dieser Schnäppchen doch nicht so toll sind: Es sind schlicht jene Produkte, die bislang zum vollen Preis niemand haben wollte. Darum ist der Laptop etwas schwach auf der Brust, das Eau de Toilette Nasengift und die Lichterkette eine Todesfalle. Es sind jene Produkte, die im Urteil der Schwarmintelligenz durchgefallen sind.

Das heisst nun allerdings nicht, dass man nicht trotzdem einen Glückstreffer landen kann. Die Chancen sind dann intakt, wenn man seine Bedürfnisse kennt und sich nicht euphorisieren lässt. Gier ist ein schlechter Ratgeber – und der Black-Friday-Frust nicht fern, wie die Bilder von Massenschlägereien in grossen Einkaufszentren zeigen.

Gegen Impulskäufe hilft übrigens auch das Wissen, dass die Rabatte effektiv gar nicht so hoch sind, weil sie auf dem empfohlenen Verkaufspreis des Herstellers basieren, den man auch sonst kaum je bezahlen muss.

Was den erlösenden Klick auf den «Bezahlen»-Knopf angeht, habe ich einen Plan B. Ich werde, wenn alle meine Bemühungen scheitern, den Spendenaufruf von Wikipedia befolgen – denn wie viele andere bittet auch das freie Lexikon in diesen Tagen um eine finanzielle Zuwendung. Das sind drei Fliegen mit einer Klappe: Ich komme der Bürgerpflicht des Geldausgebens nach, entkräfte die Geiz-Behauptung meiner Frau und bekomme obendrein kein Produkt geliefert, das hinterher unnütz in der Wohnung rumsteht.

Dem Black Friday kann man sich fast nirgends mehr entziehen – auch hier in Lausanne nicht. Foto: Valentin Flauraud (Keystone)

Quelle: Tages-Anzeiger, Freitag, 26. November 2021

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