Der Spott für den Luxus-Putzlappen ist nicht verdient

Ein Poliertuch für Bildschirme kostet im Apple Store 19 Franken. Eine Frechheit? Nein, intelligentes Marketing des iPhone-Konzerns!

Matthias Schüssler

Ein normales Mikrofasertuch kostet ein paar Rappen. Es sei denn, man kauft es von Apple: Im Webshop des iPhone-Konzerns wird ein Reinigungstuch zum stolzen Preis von 19 Franken für Schweizer Kunden angeboten. In den Nachbarländern ist es sogar noch teurer: In Deutschland etwa zahlt man 25 Euro.

Natürlich sorgt das für Spott und Häme. «Der Spiegel» ätzt etwa: «Ultraflach, teuer und laut Herstellerangaben extrem leistungsfähig: Die Rede ist nicht von Apples neuem Mac-Book Pro.» Und für Extralacher sorgt der Umstand, dass Apple im Abschnitt «Kompatibilität» pflichtbewusst auflistet, bei welchen Geräten man das Putztuch verwenden kann. Sämtliche iPhones, iPads, Macs, Apple Watches und iPods der letzten Jahre sind aufgeführt, wobei ältere Geräte, zum Beispiel das iPhone 5, fehlen. Spötter wollten sogleich wissen, ob die denn zu Staub zerbröseln, wenn man sich ihnen mit diesem Hightechlappen nähert.

Man kann sich aber fragen, ob Apple der richtige Adressat für den Hohn ist – oder ob wir uns nicht über uns selbst ärgern müssten, die wir solche Produkte erwerben. Denn wer bei einem Apple-Produkt nicht zumindest ahnt, wie gross die Marge für den Hersteller ist, der ist ein bisschen selber schuld.

Bei mir ist es jedenfalls so: Ich habe bis heute nicht verwunden, dass mir der Verkäufer im Zürcher Apple-Store ein Zubehör angedreht hat, das erstens einen fast genauso hohen Preis hatte wie das besagte Poliertuch, zweitens aber noch viel weniger Nutzen hatte. Es war eine hauchdünne Gummischlaufe, mit der man sich die Fernbedienung des Apple TV (vierte Generation von 2015) am Handgelenk befestigen konnte. Begründung: So ist die Fernbedienung auch dann sicher, wenn man sie für Videogames als Controller nutzt. Das habe ich kein einziges Mal getan, aber Apple dafür trotzdem 15 Franken bezahlt. Bin ich nun der Depp oder ist es Tim Cook?

Mit anderen Worten: Apple verdient nicht Spott, sondern Bewunderung dafür, nicht nur mit den eigentlichen Produkten, sondern auch mit dem Zubehör Geld zu scheffeln: mit Hüllen, Taschen, Etuis, Cases, Ladegeräten, Adaptern, Kabeln, Stiften, Ständern und Halterungen. Oder mit den Armbändern für die Apple Watch. Mit welcher Begeisterung und Regelmässigkeit manche meiner Freunde die austauschen, ist für mich unverständlich und faszinierend zugleich. Natürlich posten die Freunde auch Fotos von jedem neuen Armband in den sozialen Medien, und bescheren Apple nicht nur Einnahmen, sondern obendrein Aufmerksamkeit.

Es gäbe weitere Beispiele: Die Airtags, Apples Anhänger zur Ortung von Gegenständen wie dem Schlüsselbund oder Rucksack, zu deren Befestigung man zusätzlich eine Schlaufe oder einen Ring erwerben muss.

Unvergessen sind schliesslich auch Mac Pro Wheels: vier simple Rollen, die den Highend-Computer in einen fahrbaren Zustand versetzen und ursprünglich 849 Euro kosteten.

Zurück zum Lappen: Es bleibt zu ergänzen, dass der für Bildschirme mit Nanotexturbeschichtung gedacht ist. Das ist eine sehr feine Beschichtung, die Spiegelungen reduziert und entsprechend empfindlich ist. Es gibt dieses spezielle Glas beim Apple Pro Display XDR, einem grossen externen Bildschirm, und beim iMac mit 27 Zoll. Ersterer kostet entsprechend ausgestattet 6400 Franken, zweiterer mindestens 2329 Franken – und bei denen ist das passende Putztuch im Lieferumfang enthalten.

Sollte nun also die Katze den mitgelieferten Lappen gefressen haben, dann ist es dennoch klüger, die 19 Franken zu investieren, als auszuprobieren, ob der 6000-fränkige Monitor auch dem Brillenputztuch gewachsen wäre.

19 Franken für einen ordinären Lappen – das sorgt für Gesprächsstoff. Foto: PD

Quelle: Tages-Anzeiger, Donnerstag, 21. Oktober 2021

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