Wie ich mich doch noch mit der Apple-Uhr angefreundet habe

Annäherung Nach ihrer Etablierung zeigt sich, dass sich Wearables von einer Spielerei zum nützlichen Alltagsgegenstand entwickeln.

Als vor fünf Jahren die Apple Watch auf den Markt kam, hielt ich das für den Anfang vom Ende des Apple-Mythos: ein in Gold erstarrtes Symbol dafür, dass Apple nichts mehr mit seiner angestammten Kundschaft zu tun haben wollte. Die treuen Nutzer waren jene Leute, die mit Apple-Geräten ernsthafte Arbeit verrichteten. Die Uhr dagegen war für Blender: ein hochgezüchtetes Spielzeug für Leute, die Apple nicht wegen der eleganten Technik, sondern wegen dem Prestige kauften. Apple-Produkte waren immer auch Statussymbole – aber jetzt, mit dieser Uhr, waren sie nur noch Statussymbole und nichts anderes mehr.

Ich gehörte damals zu den ersten Testern und erlebte die Bedienung als durchdacht, aber nicht als intuitiv: «Apple ist es nicht gelungen, die Limitationen des sehr kleinen Bildschirmchens durch einen Geniestreich zu überwinden. Die wenigen Quadratzentimeter Displayfläche schränken einerseits die vermittelbaren Informationen stark ein, andererseits sind auch bei der Steuerung Kompromisse unumgänglich. Die digitale Krone ist, gemessen an der Eleganz der Mehrfingerbedienung, ein Rückschritt.»

Golduhr verschwand wieder

Die Uhr würde nichts bewirken, ausser Apple neue Märkte zu erschliessen, war mein Fazit damals. Fünf Jahre später kann man drei Dinge konstatieren. Erstens hat Apple den schlimmsten Auswuchs eliminiert und das 18-Karat-Modell mit dem fünfstelligen Preis nach einem Jahr wieder eingestampft. Zweitens entspricht die Uhr einem Bedürfnis. Sie verkauft sich gut, auch wenn sie umsatzmässig zusammen mit dem iPad, dem Mac und den Services unter «ferner liefen» rangiert.

Drittens zeigt sich deutlich, was ursprünglich ihr eigentliches Problem gewesen ist: Sie war bloss ein Smartphone-Anhängsel und damit nicht unverzichtbar. Die gleichen Benachrichtigungen anzuzeigen, die man auch am iPhone zu sehen bekommt, ist nicht sonderlich nützlich.

Die massgeblichen Verbesserungen der letzten Zeit waren jene, die es der Uhr erlauben, autonom zu funktionieren. Man kann mit ihr die Musikwiedergabe steuern. Sie dient als Fernauslöser beim Fotografieren. Sie überwacht den Herzschlag. Und sie bezahlt den Eistee, wenn man beim Joggen das Telefon nicht dabeihat.

Ein Gewinn für die Sicherheit

Eine echte Chance sehe ich im Sicherheitsbereich: die Uhr, die automatisch den Computer entsperrt – bitte nicht nur Macs, sondern auch PCs – und als zweiter Faktor Login-Vorgänge absichert, ist komfortabel und eine echte Verbesserung. Und wann kann ich sie als Badge am Mitarbeitereingang benutzen? Mit anderen Worten: Es hat fast fünf Jahre gedauert, aber inzwischen haben die Uhr und ich uns versöhnt. Ich glaube nach wie vor, dass es nicht besonders charmant ist, erst ein Produkt auf den Markt zu werfen und dann über Jahre hinweg und mit x Modellen krampfhaft nach einem eigenständigen Verwendungszweck zu suchen. Aber ich akzeptiere, dass Fortschritt nicht nur aus den Geniestreichen besteht, sondern noch viel äufiger aus dem mühsamen Prinzip von Versuch und Irrtum.

Matthias Schüssler

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 22. April 2020

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