Gute Frage

Liesse sich das Internet abschalten?

Viele würden darauf pochen, dass das Internet unzerstörbar sei: Das Internet wurde von Anfang an als robustes Netz konzipiert. Die Informationsübertragung erfolgt mittels kleiner Datenpakete, die sich automatisch ihren Weg durchs Netz suchen. Wenn irgendwo eine Leitung unterbrochen ist, finden sie automatisch eine Ausweichstrecke. Ganz ohne dass jemand eingreifen und eine Umleitung ausschildern müsste.

Das US-Militär hat den Vorläufer des Internets erfunden. Von diesem sogenannten Arpanet wird gesagt, dass es sogar einen Atomkrieg hätte überstehen können. Das ist übertrieben: Das Arpanet konnte grosse Ausfälle verkraften, aber die mehr oder weniger vollständige Zerstörung der Infrastruktur hätte es nicht überlebt. Auch das heutige Internet ist auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Mauretanien war im April 2018 für zwei Tage offline, nachdem ein Unterseekabel durchtrennt worden war. Natürlich, die meisten Länder hängen nicht an einem einzigen Kabel. Da führen Pannen allenfalls zu Datenstaus, aber nicht zu Komplettausfällen. Und selbst Attacken auf wichtige Netzwerkknoten dürften verkraftbar sein.

Aber es gibt auch andere Angriffspunkte. Wenn jemand es schaffen würde, das zentrale DNS-System anzugreifen (es verwandelt den Namen einer Website in die IP-Adresse des Servers), dann könnte er das World Wide Web manipulieren oder zum Erliegen bringen.

Wie verwundbar das Netz ist, zeigt sich tagtäglich in China, wo das Internet streng zensuriert ist. Ägypten hatte während der öffentlichen Proteste im Januar 2011 das Internet fast vollständig abgeschaltet, und auch in anderen Ländern brachte der Arabische Frühling Internetengpässe. China Telecom war 2017 für einen seltsamen Fehler verantwortlich: Für fast eine Woche wurde ein Grossteil des inländischen Datenverkehrs der USA durch China geleitet. Schuld war eine Fehlkonfiguration beim Border Gateway Protocol (BGP), das die internationalen Datenströme steuert. Und selbst wenn man glaubt, dass das ein harmloses Versehen war, gab es auch schon erfolgreiche Versuche, das BGP zu kriminellen oder politischen Zwecken zu manipulieren.

Danny Hillis, der am MIT einer der ersten Nutzer des Internets überhaupt war, beschreibt es in einem Ted-Talk so: «Das Internet hat eine Eigendynamik entwickelt, so wie das Finanzsystem. Auch wenn wir alle Teile selbst entwickelt haben, so versteht heute niemand mehr, wie es funktioniert.» Niemand weiss also, welche Erschütterungen es aushält – und welche Banalitäten es zum Einsturz bringen könnten.

Matthias Schüssler Redaktor Digital

In dieser Kolumne beantworten Redaktoren die am häufigsten gegoogelten Fragen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Samstag, 27. April 2019

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