So klappt es (nicht) mit dem papierlosen Büro

Die Vision, Dokumente nur noch elektronisch zu verwalten, hat sich nicht durchgesetzt. Schuld ist auch die Computerbranche.

Matthias Schüssler

Die Vision ist bald ein halbes Jahrhundert alt. 1975 beschrieb die Zeitschrift «Business Week» das Büro der Zukunft. So wie das Flugzeug das Reisen und der Fernseher das Familienleben revolutioniert hätten, werde der Computer den geschäftlichen Alltag auf den Kopf stellen. George E. Pake stellte im Artikel die Umwälzungen für die nächsten zwanzig Jahre in Aussicht. Dieser Pake war nicht irgendwer: Der Physiker hatte den Xerox Parc gegründet – jenes Forschungszentrum, in dem Steve Jobs viele jener Erfindungen gesehen hatte, die den legendären Macintosh erst möglich machen sollten.

Pake prognostizierte, dank Computern würden die Leute alle Dokumente auf Knopfdruck abrufbereit haben, und Papier werde bald überflüssig sein.

Viele wollen, nur wenige können

Diese Computer sind Realität und viel leistungsfähiger, als Pake sie sich damals wohl vorgestellt hat. Das papierlose Büro ist deswegen aber nicht Realität geworden. Die Vision stagniert, das hat auch eine Umfrage von Sage, einem Hersteller für Unternehmenssoftware, im Sommer 2017 ergeben: Zwar wollen 71 Prozent der Unternehmen in der Schweiz, Österreich und Deutschland das Papier eliminieren.

Doch nur wenige kommen über erste Schritte hinaus: Es wird fröhlich weitergedruckt, und zwar vor allem fürs Archiv (47 Prozent), für die interne Weitergabe und zum Lesen (je 34 Prozent). Alte Gewohnheiten sind hartnäckig, wie auch ein Autor der Zeitschrift «Wired» konstatieren musste: Er schrieb entnervt, er wäre schon mit dem papierarmen Büro zufrieden – angesichts des Umstands, dass jeden Tag eine Milliarde Fotokopien angefertigt würden.

Abstrakt und kompliziert

Die meisten Unternehmen und auch Private sind sich bewusst, dass sie nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch beträchtlich Kosten sparen könnten, wenn die Unternehmen alle ihre Drucker entsorgen und ihre Ablage nur noch digital verwalten würden. Doch es gibt Hindernisse: Die meisten Abläufe sind digital viel weniger fassbar. Eine Rechnung auf Papier zu visieren, ist ein Klacks. Sie als digitale Datei mit einer Unterschrift zu versehen, ist ein viel abstrakterer Vorgang. Wie die Ablage in Form von Bundesordnern funktioniert, sieht man auf den ersten Blick. Wie man Dokumente auf dem Server platziert und wiederfindet, ist nicht ganz so augenfällig.

Auch das digitale Gegenstück des Papiers hat seine Tücken. Das ist das Portable Document Format oder kurz PDF. Es ist äusserst vielseitig und für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche optimiert.

Kulturgut versus Softwarepatente

Doch es ist kein Kulturgut, das der Menschheit seit Jahrhunderten vertraut ist. Dieses PDF ist die Entwicklung einer einzelnen Firma: Das kalifornische Softwareunternehmen Adobe hat es 1993 lanciert und anfänglich als proprietäres Produkt vermarktet. Inzwischen ist das PDF zwar fast so frei nutzbar wie das richtige Papier: Es wurde zur ISO-Norm erklärt, und 2008 hat Adobe eine öffentliche Lizenz für die kostenlose Nutzung aller betroffenen Patente ausgestellt. Doch die Angst vor Abhängigkeit bleibt: Microsoft hat seitdem bei Windows nicht viel mehr als die Möglichkeit eingebaut, PDF-Dateien im Edge-Browser anzuzeigen.

Die grösste Hürde besteht jedoch darin, dass das digitale Papier im Vergleich zum Material aus Faserstoffen komplex und anspruchsvoll ist. Zum Beispiel die gesetzliche Anforderung, Dokumente unveränderlich zu archivieren.

Aufwendiger Schutz

Um Papierdokumente nachträglich überzeugend zu manipulieren, braucht es die Talente eines Fälschers. Bei digitalen Dokumenten liegt die Veränderbarkeit in der Natur der Sache. Die Schwierigkeit liegt darin, den Originalzustand zu bewahren. Dazu braucht es Dinge wie Verschlüsselung und digitale Signaturen – nur, damit man nachher digital gleich weit ist wie vorher analog. Auch um die unerwünschte Verbreitung von Dokumenten einzudämmen, werden aufwendige Schutzmassnahmen benötigt.

Und es bleibt der sinnliche Aspekt: Papier ist vertraut, handfest und griffig. Da wundert es nicht, dass der Papierverbrauch trotz der technischen Revolution nicht gesunken, sondern über Jahre sogar gestiegen ist. Eine Statistik der letzten Jahre zeigt für die Schweiz erst seit kurzem eine Trendumkehr.

Immerhin, in einigen Bereichen setzen sich digitale Lösungen durch: Auch dank der Smartphones – siehe dazu den Kasten mit den Tipps und Tricks.

Bei den Bankbelegen oder der elektronischen Rechnung ist die Akzeptanz inzwischen so gross, dass manche Experten es sogar wieder wagen, an die Utopie aus den 1970ern zu glauben. Manche gehen sogar so weit, dass sie nicht nur das Bargeld abschaffen, sondern das Papier sogar aus seiner letzten Bastion vertreiben wollen: dem sanitären Bereich. Ein holländischer Pionier für Papierlosigkeit hat, wie der «Spiegel» seinerzeit berichtete, auch gleich die Mitarbeiter-WCs auf die japanische Variante mit Dusche und Föhn umgerüstet.

Tipps und Tricks

Zwei Methoden fürs papierlose Büro zu Hause

Dokumente digitalisieren
Das iPhone kann inzwischen schon von Haus aus via Kamera Briefe und Dokumente einlesen und für die digitale Ablage aufbereiten – inklusive Texterkennung, damit die Ablage durchsuchbar ist. In der Notiz-App tippen Sie auf das Plus-Symbol und wählt den Befehl «Dokumente scannen». Auch die Google-Docs-App erstellt digitale Dokumente ab Kamera. Und es gibt spezialisierte Apps, zum Beispiel Scanbot oder Adobe Scan. Beide existieren fürs iPhone und Android. Sie lesen auch mehrseitige Dokumente zügig ein und wandeln sie ins PDF-Format um. Wenn Sie die Dokumente auf eine dunkle Unterlage legen, werden die Seitenränder besser erkannt.

Ein spezialisierter Dokumentenscanner kann mittels Einzug mehrere Blätter aufs Mal einlesen und zum Teil sogar Hinter- und Vorderseite aufs Mal digitalisieren. Flachbettscanner liefern eine gute Qualität, weil die Dokumente flachgedrückt und ohne Falz und Wellen abgebildet werden

Digital unterschreiben.
Am iPhone lassen sich Dokumente leicht mit einer digitalen Signatur versehen. Dazu öffnet man die PDF-Datei in der Mail- oder Nachrichten-App, tippt das Stift-Symbol rechts oben an und dann das Plus-Symbol in der rechten unteren Ecke. Über das Menü wählt man «Unterschrift», die dann am Bildschirm gezeichnet und eingefügt wird. Unterschriften werden für die Wiederverwendung abgespeichert.

Für Android bietet sich eine App wie Adobe Fill & Sign an. Bei Windows benötigt man Adobe Reader: Dort sitzt der Befehl im Menü «Anzeige > Werkzeuge > Ausfüllen und unterschreiben».

Beim Mac lassen sich PDF-Dokumente über die Vorschau öffnen und mit Unterschriften versehen. Die kann man am Trackpad zeichnen, doch besser dürfte sein, eine Unterschrift auf Papier einzuscannen. Das lässt sich auch über die Kamera des Computers ausführen. (schü)

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 16. April 2019

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