Das Ende des Kabelsalats

Die Zeit der Bluetooth-Kopfhörer ist gekommen, die Zahl der Modelle wächst. Was beim Einstieg in den drahtlosen Musikgenuss zu beachten ist.

Matthias Schüssler

Kopfhörer sind ein echter Wachstumsmarkt. Der Umsatz hat sich gemäss dem Statistikportal Statista seit 2013 um mehr als 40 Prozent auf geschätzte 334 Millionen erhöht. Im Sommer wurde vermeldet, die drahtlosen Modelle hätten die kabelgebundenen Varianten überholt. Das stimmt bezüglich Umsatz. In Stückzahlen machen sie aber erst ein knappes Fünftel aus.

Dennoch stehen die Zeichen auf Bluetooth. Das Angebot im mittleren und hohen Preissegment ist in den letzten Monaten stark gewachsen. Die Tech-Enthusiasten streiten darüber, ob Apple diesen Trend mit der Abschaffung der Kopfhörerbuchse beim iPhone 7 forciert oder bloss vorweggenommen hat.

Eines ist klar: Die Technik macht rasante Fortschritte. Die klanglichen Defizite wurden ausgemerzt. Mit modernen Datenübertragungsmethoden wird das Audiosignal in CD-Qualität übertragen. Allerdings mit dem Mangel, dass Telefon und Kopfhörer das Übertragungsprotokoll selbst aushandeln und der Nutzer keine Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob es das gewünschte ist. Viele teurere Modelle wie den Sony MDR-1000X kann man wahlweise per Datenfunk oder mit Kabel betreiben. So bleibt der Anschluss an die Stereoanlage gewährt.

Das grösste Manko der drahtlosen Kopfhörer bleibt die beschränkte Ausdauer der Akkus. Die Kopfhörer müssen regelmässig geladen werden, sonst herrscht plötzlich Stille. Die grösseren Modelle halten 20 Stunden oder länger durch. Die kleineren werden oft in einem Schächtelchen aufbewahrt, das sie bei Nichtgebrauch auflädt.

Drahtlose Kopfhörer gibt es in den üblichen Bauweisen, die man in Englisch meist mit In-Ear, Over-Ear und On-Ear bezeichnet. Die In-Ear-Modelle oder umgangssprachlich «Ohrstöpsel» werden mehr oder minder tief in den Gehörgang gesteckt. Das isoliert gegen Aussenlärm, ohne dass man eine Geräuschunterdrückungsfunktion benötigt. Noise Cancelling, die aktive Lärmdämmung, findet man bei den teuren Modellen. Es ist effektiv gegen gleichförmigen Umgebungslärm wie das Dröhnen einer Flugzeugturbine. Allerdings gibt es Leute, die mit Unwohlsein auf den Gegenschall reagieren, mit dem Brummen und Summen getilgt wird.

Es gibt die In-Ear auch als Variante, die locker in der Ohrmuschel sitzt und auf dem Gehörgang aufliegt. Sie werden im Englischen auch Earbuds genannt.

Besserer Klang – mehr Gewicht

Kopfhörer mit Muscheln liegen entweder auf dem Ohr auf (on-ear) oder umschliessen es (over-ear). Diese beiden Bauweisen sind klanglich tendenziell überlegen, vor allem bei der Basswiedergabe. Andererseits sind die Muschelkopfhörer deutlich weniger handlich als die Ohrstöpsel, die nur wenige Gramm wiegen. Welche Bauweise man bevorzugt, hängt nicht nur von persönlichen Vorlieben ab. Auch allfällige Brillenbügel oder Ohrringe können bei den geschlossenen Modellen drücken. Bei den Modellen ganz ohne Kabel und Nackenband besteht hingegen eine erhöhte Verlustgefahr, weil die Kapseln bei abrupten Bewegungen auch mal aus dem Ohr springen können.

Ausprobieren!

Darum lohnt es sich unbedingt, einen Kopfhörer auszuprobieren, und zwar für eine halbe Stunde oder länger. Einerseits merkt man, ob er bequem sitzt. Andererseits findet man heraus, ob einem die akustische Charakteristik zusagt. Denn was manche als ausgewogenes Klangbild bezeichnen, empfinden andere als fad. Und wenn einer eine druckvolle Musikwiedergabe lobt, hört ein anderer einen eklatanten Bass-Überhang.

Achten muss man bei den drahtlosen Modellen auf die Steuerungsmöglichkeit. Die erfolgt bei Modellen mit einem Nackenband wie dem Philips SHB5900 über klassische Tasten. Bei vielen anderen Modellen regelt man die Lautstärke über Berührungen auf die Ohrmuscheln. Es gibt Modelle wie The Dash von Bragi, bei denen man Anrufe durch Kopfnicken oder -schütteln annimmt oder abweist. Dieses Modell weist obendrein Fitnessfunktionen wie Schrittzähler und Herzfrequenzsensor auf. Sie können auch autonom, also ohne Smartphone, benutzt werden. Dazu speichert man Musik direkt in den Kapseln.

Fazit: Die drahtlosen Kopfhörer haben ihre Vorteile. Sie sind flexibler beim Sport und der Hausarbeit. Man reisst sie sich nicht aus den Ohren, wenn man mit dem Kabel hängen bleibt. Die Strippe kommt im Winter nicht mit Mänteln, Schals und Mützen ins Gehege. Und die Bluetooth-Kopfhörer sind im Idealfall langlebiger. Eine der häufigsten Ursachen für Defekte bei herkömmlichen Kopfhörern ist nämlich ein Kabelbruch beim Stecker oder an den Hörmuscheln.

Trotzdem: Perfekt ist die drahtlose Musikwelt noch nicht. Es kommt vor, dass sich der Kopfhörer mit dem falschen Abspielgerät verbindet, zum Beispiel dem Tablet statt dem Smartphone. Die Einrichtung kann umständlich sein, vor allem mit Geräten wie dem iPhone 7, die den Funkstandard NFC nicht unterstützen – mit ihm lassen sich Telefon und Kopfhörer verbinden, indem man sie aneinanderhält.

Die Verbindung per Bluetooth ist schliesslich fehleranfällig. Falls das Telefon unter dicken Kleidungsschichten steckt, kann es bei Kopfbewegungen zu kurzen Verbindungsabbrüchen kommen. Diese lassen sich meist durch Umplatzieren des Telefons mindern. Mitunter hilft es auch, WLAN abzuschalten.

Die Kabellosen rücken in den Fokus – hier die Airpods von Apple, fotografiert an einer Apple-Veranstaltung vom 7. September. Foto: Stephen Lam (Getty Images)

Drahtlose Kopfhörer Von klein und leicht bis edel und klangstark

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 30. November 2016

Rubrik und Tags:

Faksimile
161130 Seite 33.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Aufmacher
Nr: 14205
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: FALSCH