Nachgefragt

«Vielleicht haben Verlage die Leser unterschätzt»

Blendle-Mitbegründer Marten Blankesteijn über seinen Dienst und die Bereitschaft, im Netz für Medienprodukte zu bezahlen.

Matthias Schüssler

Welche Ambitionen haben Sie mit Blendle? Wir der Einzelverkauf von Artikeln das Abo irgendwann ablösen?
Unsere Mission ist es, den weltbesten Journalismus für alle verfügbar zu machen. Heute verpassen junge Menschen so viel grossartigen Journalismus, weil er hinter hohen Bezahlschranken oder auf Papier versteckt ist. Blendle macht es einfach, tollen Journalismus zu entdecken. Ein Beispiel ist der Artikel über das Milliardengeschäft mit Flüchtlingen in Deutschland aus dem aktuellen «Spiegel». Den gibt es nirgendwo sonst. Wir sprechen eine neue Zielgruppe an: junge Menschen, die keine Abos abschliessen oder Magazine am Kiosk kaufen.

Ist es schwer, die Verleger vom neuen Modell zu überzeugen? Es ist ja so, dass ein Nutzer einige Artikel kaufen muss, bis er dem Verlag den Gegenwert eines Abos einbringt.
Als wir in Holland angefangen haben, mussten wir noch viel mehr erklären. Jetzt haben wir über 450’000 Nutzer und wachsen sehr schnell: Die Vorteile für Verleger sind klarer geworden. Deswegen konnten wir in Deutschland mit allen grossen Verlagen und über 100 Titeln starten. In der Schweiz war ich sogar nur 24 Stunden, und jetzt haben wir NZZ und Reportagen an Bord. Es geht also immer einfacher.

Umgekehrt müssen Sie auch Nutzer dazu bringen, Geld für etwas zu bezahlen, was in der Wahrnehmung vieler bislang gratis war. Wie soll das gelingen?
Vielleicht haben Verlage die Leser einfach unterschätzt. Junge Menschen lieben grossartigen Journalismus und sind bereit, dafür zu zahlen. Gib ihnen einfach einen guten Grund und eine einfache Möglichkeit. Auf Blendle erkennt man schnell, dass der Grossteil des besten Journalismus nicht kostenlos zu haben ist. Wer sich nur mit Gratis-Geschichten zufriedengibt, verpasst eine Menge. Die Schweiz ist da ein gutes Beispiel: Vieles, was in der NZZ erscheint, gibt es nicht gratis. In Deutschland trifft das auf Artikel aus dem «Spiegel» zu. Blendle ist heute der einzige Weg, Artikel aus all diesen Publikationen zu lesen, ohne ein Abo abschliessen zu müssen.

Es gibt viele Leute, die der Ansicht sind, dass ein Modell wie Blendle zum Scheitern verurteilt ist, weil es im Internet Informationen im Überfluss gibt und darum – nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage – der Preis gegen null tendiert.
Informationen und Journalismus sind zwei völlig verschiedene Dinge. Je mehr Informationen es gibt, desto wichtiger wird guter Journalismus. Momentan wird beispielsweise so viel über die Flüchtlingskrise geschrieben, aber die besten Dinge sind nicht frei erhältlich. Ein solcher Artikel, der mich sehr beeindruckt hat, war ein Essay über den Rassismus in Deutschland. «Wir Kanaken» hiess das.

Es gab schon Versuche, die Gratiskultur im Netz zu überwinden. Bei Flattr.com gibt man für gelungene Webinhalte einen Freiwilligenbeitrag. Die Resonanz war verhalten.
Ich habe schon viele solcher Vergleiche gehört, aber Blendle unterscheidet sich stark von den meisten Versuchen. Blendle hat das breiteste Angebot aller vergleichbaren Kioske im deutschsprachigen Raum. Nur bei uns kann man alle Artikel aus über 100 Titeln lesen.

Die häufigste Kritik an Blendle, die mir zu Ohren gekommen ist, war der Preis: Bis zu 2 Euro – das ist vielen zu teuer für einzelne Artikel.
Auf Blendle gibt es immer das Geld zurück, wenn es ein Artikel doch nicht wert war. Aber ich glaube, die Preise werden sich schon bald ändern. Blendle ist in Deutschland halt noch ganz neu. In Holland und für amerikanische Titel sind die Preise viel tiefer, was zuverlässig zu mehr Käufen führt.

Wird sich Blendle auch für kleinere Anbieter öffnen, Blogger beispielsweise?
Blendle ist bereits für freie Journalisten verfügbar. In Holland publiziert eine Vereinigung von freien Journalisten bereits einige ihrer Geschichten exklusiv auf Blendle.

Für welche Artikel geben die Käufer Geld aus? Sind das die gleichen Storys, die auch bei den Klickzahlen obenaus schwingen? Werten die Redaktionen die Kaufzahlen der Artikel aus, so wie sie es mit den Klicks tun?
Es ist eine neue Welt. Eine unserer meistverkauften Geschichten in Deutschland ist eine tief recherchierte, aufwendige und wunderbar geschriebene Analyse zur Zukunft des Nahen Ostens. Ein unglaublich guter Artikel. Aber so was geht auf Facebook normalerweise nicht viral. Auf Blendle schon. Wenn man von den Leuten Geld verlangt, wollen sie gerne etwas mehr Substanz.

Blendle-Gründer Marten Blankesteijn ist überzeugt, dass auch junge Leser Geld für Medienprodukte ausgeben.

Marten Blankesteijn, der 28-jährige Gründer und Chef des Start-ups Blendle, nahm noch während seines Journalismus-Studiums einen Reporter-Job bei der Tageszeitung «De Pers» an. Er hat ein Buch über Diktatoren geschrieben und eine Plattform für Gratis-Vorlesungen gegründet.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 29. September 2015

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