Wer hat ein Rezept gegen Facebook?

Trotz neuer Konkurrenten wie Ello ist Facebook das weitaus erfolgreichste soziale Netzwerk. Den Alternativprodukten bleibt nur ein kümmerliches Nischendasein.

Matthias Schüssler

Dieser Tage macht ein neues soziales Netzwerk von sich reden: Ello will dort punkten, wo Facebook Kritik auf sich zieht. Die mit 435 000 Dollar Risiko­kapital gestartete Plattform verzichtet auf Werbung und will keine Benutzerdaten an Dritte verkaufen. Das Netzwerk besteht nicht darauf, dass die Nutzer ihren wirklichen Namen angeben und gibt sich auch offen für Pornografie.

Keine Zensur also im Zeichen familienfreundlicher, politisch korrekter Werte. Das stiess in der Gemeinschaft der Schwulen und Lesben, Bi- und Transsexuellen in San Francisco auf Gegenliebe. Zumal Facebook kürzlich Nutzer mit Pseudonymen ausgeschlossen und Dragqueens gezwungen hat, sich mit ihrem bürgerlichen Namen zu outen. Dabei sind Aliasse nicht nur Allüre, wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg behauptete. Die Decknamen schützten Angehörige der sexuellen Minderheiten vor Angriffen und Stalking, meinte die Kolumnistin Violet Blue von Zdnet.com.

Ello ist ein weiterer Versuch, die Dominanz von Facebook zu brechen. Viele Dienste würden gern die Nachfolge von Mark Zuckerbergs globalem Poesie­album antreten. Kritisiert wird nebst der Teilnahme am Prism-Programm der NSA sowie undurchsichtigen und ständig ändernden Privatsphären-Optionen auch die intransparenten Algorithmen, nach denen Facebook den Strom der Neuigkeiten filtert – und vor allem auch der Versuch, mit dem allgegenwärtigen ­«Gefällt mir»-Knopf das Internet geradewegs zu vereinnahmen und die Nutzer von überall her immer wieder auf die Plattform zurückzuführen.

Offene, dezentrale Systeme

Trotz des grossen Misstrauens bei den Benutzern scheitern Facebook-Konkurrenten reihenweise: Das Diaspora-Projekt zum Beispiel will Facebook mittels eines dezentralen Systems ersetzen, bei dem jeder Anwender die Möglichkeit hat, seine Daten auf einem eigenen Server zu speichern oder auf einem öffentlichen Rechner seiner Wahl unterzubringen – ohne die Oberhoheit über sie zu verlieren. Doch das Projekt vermochte sich ausserhalb technisch interessierter Kreise nicht durchzusetzen. Identi.ca, ein 2008 gestarteter Dienst, der dezentral und offen aufgebaut ist, hat den Sprung aus der Nerds-Ecke wegen zu häufiger technischer Probleme ebenfalls nie geschafft. Und die Macher von App.net haben im Mai alle Mitarbeiter entlassen, obwohl die Idee, eine Infrastruktur für soziale Netze bereitzustellen, ihr noch 2013 eine Auszeichnung vom Magazin «Time» eingebracht hatte.

Aber auch Google bekommt mit seinem sozialen Netzwerk keinen Fuss auf den Boden. Trotz beachtlicher Nutzerzahlen wegen der engen Integration mit anderen Google-Produkten wurde Google Plus kürzlich an seinem dritten Geburtstag «zwar nicht als Geisterstadt, aber als Linksfriedhof» bezeichnet. Seit wenigen Wochen ist es nicht mehr nötig, beim Anmelden für Gmail auch ein Google+-Konto zu lösen, was manche schon als schleichenden Abschied Googles von seinen einstmals hochfliegenden Sozialmedienplänen werten.

Entsprechend bleibt Facebook die Nummer eins im Web. Gemäss einer Auswertung von Shareaholic.com, eines aufs Teilen von Inhalten spezialisierten Webdiensts, war Facebook im Sommer 2014 für fast ein Viertel aller Webaufrufe aus sozialen Netzwerken verantwortlich (23,4 Prozent). Auf Platz zwei folgt Pinterest (TA vom 29.9.), Twitter auf Platz drei ist mit 1,03 Prozent kaum mehr der Rede wert. Im Vergleich zum Vorjahr hat Facebook um über 150 Prozent zugelegt: «Facebook ist hervorragend aufgestellt für die Weltherrschaft», kommentierte Danny Wong von Share­aholic.com.

Bei aller Unzufriedenheit mit Facebook: Auch die Skeptiker und Kritiker zieht es da hin, wo ihre Freunde und ­Bekannten sind. Das ist der Netzwerk­effekt, der dafür sorgt, dass Mark Zuckerbergs im Schlafsaal an der Harvard gegründete Plattform nicht nur an der Börse weiterhin zulegt, sondern auch bezüglich Nutzerzahlen wächst.

Gegenbeispiel Yammer

Wenn Facebook sich nicht «selbst ausrottet wie die Beulenpest», wie es zwei Forscher der Princeton-Universität im Januar voraussagten, dann werden die Konkurrenten sich mit Nischen begnügen müssen. Dass auch das durchaus lukrativ sein kann, beweist Yammer. Dieses soziale Netzwerk ist für den internen Gebrauch in Unternehmen gedacht. Microsoft hat den Dienst 2012 für 1,2 Milliarden übernommen und wird ihn direkt in sein Office-System integrieren.

Auch das ist Facebook: Bilder zieren die Wand an einer Entwicklerkonferenz des Unternehmens. Foto: Justin Sullivan (Getty Images)

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 6. Oktober 2014

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