Programmieren statt Frühfranzösisch

Initiativen in den USA und in Deutschland erheben die Fähigkeit zur Softwareentwicklung auf die Stufe der Kulturtechniken und fordern, dass das Programmieren zur Grundausbildung gehört.

Matthias Schüssler

«Programmieren ist heute viel einfacher», verspricht Bill Gates. «Spiel nicht nur mit deinem Telefon – programmiere es!», rät US-Präsident Barack Obama. Und auch Schauspieler Ashton Kutcher, der im Film bereits Steve Jobs ver­körperte, schliesst sich dem Aufruf an. Er lässt sich im Video für «The Hour of Code» davon überzeugen, dass die Entwicklung von Software und Apps Spass macht und kinderleicht ist.

«The Hour of Code» ist eine gemeinnützige Initiative mit dem Ziel, jedem Schulkind und Studenten in den USA Informatikunterricht zu ermöglichen. Doch nicht nur das: Die Initianten machen geltend, dass jedermann programmieren lernen kann – und lernen sollte. Auf Code.org steht ein Onlinekurs bereit, der in 20 Stunden die Grundlagen der Informatik vermittelt. Es gibt weitergehende Lerneinheiten, etwa zu den Kultspielen «Flappy Bird» und «Angry Bird». Die Lektionen sind in über 30 Sprachen vorhanden, auch auf Deutsch. Die einrahmenden Videos – in einem erklärt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg beispielsweise das Prinzip einer Schleife im Code – gibt es nur in Englisch. Die Transkripts der Videos sind auch in Übersetzungen vorhanden.

Weniger ausgeliefert

Programmieren für alle, quasi als Volkssport? Die Befürworter haben überzeugende Argumente. Wer die Funktionsweise der Maschine versteht, kann ihr selbstbewusster gegenübertreten und fühlt sich weniger ausgeliefert. Schon mit Basiswissen lassen sich Routine­vorgänge per Stapelverarbeitung automatisieren. Die Aufgaben, die sich bei der privaten oder beruflichen Computernutzung mit zunehmend grösseren Datenmengen ergeben, werden über Scriptsprachen leichter beherrschbar.

Martin Weigert schrieb vor kurzem im Netzwertig-Blog von der nicht ganz so geheimen «Superkraft»: «Wer programmieren kann, formt sich die Welt», postuliert er und sagt, dass Programmierkenntnisse ein Element der künftigen Allgemeinbildung sein würden. Der Fachkräftemangel sei ein wichtiger Punkt; Computeringenieure seien der Flaschenhals eines jeden Projekts, in dem ein Code involviert sei.

Es geht aber nicht nur um die Nachwuchsförderung – oder um «Kinder statt Inder», wie der CDU-Politiker Jürgen Rüttgers seinerzeit die IT-Förderung an den Schulen zuspitzte. Die eigentliche Motivation der Promotoren der Programmierkenntnisse fürs breite Volk ist die Überzeugung, dass die Software­entwicklung heute als Kulturtechnik gelten muss. Sie ist das Äquivalent fürs Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter.

Das proklamieren Zach Sims und Ryan Bubinski. Sie sind die Gründer des Start-ups Codecademy.com, auf dem man sich kostenlos in den Kurs Code Year einschreiben kann. Man lernt, eine Website zu entwickeln oder ein Spiel zu bauen. Ursprünglich verpflichtete man sich als Teilnehmer, wöchentlich an ­einem Kurs teilzunehmen. Mehr als 450 000 Leute haben den Kurs 2012 abgehalten. Das Angebot auf Codeyear.com gibt es weiterhin. Heute müssen die ­Absolventen während vier Wochen an ­einem selbst wählbaren Wochentag für die Onlinelektionen aufkreuzen.

Nicht nur Tabletstreichler sein!

«Wenn du selbst gestaltest, bist du nicht nur der Knopfdrücker und Tabletstreichler», sagte Ranga Yogeshwar kürzlich in einem Interview mit der FAZ. Der Wissenschaftsjournalist fordert die «neue digitale Mündigkeit» und hat zusammen mit dem Informatiker Thomas Bendig im Juni 2014 den Verein «Jeder kann ­programmieren» gegründet. Programmieren sei die Sprache des 21. Jahrhunderts, bekräftigt Yogeshwar.

Der ETH-Professor Juraj Hromkovic setzt sich seit zehn Jahren für den Informatikunterricht an den Schweizer Schulen ein. Er kann der Idee, dass jeder programmieren lernen soll, jedoch nichts abgewinnen: «Wie kann man etwas fordern, das man nicht durchsetzen kann? Das ist ein Unsinn!» Dass die Programmierung für künftige Generationen unumgänglich sein wird, sieht allerdings auch Hromkovic so: «­Jeder wird programmieren müssen: Das wird einfach auf uns zukommen.» Die kommenden Gerätegenerationen werden universeller sein und sich nur mittels eigener Programmierung wirklich ausreizen lassen. Die Vorbereitung dafür sei bei den Schulen am besten aufgehoben: «Bei uns liegt der Fokus auf der Schule der Zukunft.» Die ­Materialien, die Hromkovic am Ausbildungs- und ­Beratungszentrum für Informatikunterricht der ETH entwickelt, kommen allen Generationen zugute. Es hätten sich auch Senioren bei ihm in die Informatik eingearbeitet. Die ETH setzt auf die Programmiersprache Logo, die speziell für Kinder entwickelt wurde. Sie ist darauf ausgelegt, die zentralen Programmierkonzepte spielerisch und durch visuelle Methoden zu erlernen. Das macht die Sprache auch bei Mädchen sehr beliebt.

Auch die am renommierten MIT-Institut entwickelte Programmiersprache Scratch setzt auf die visuelle Programmierung, bei der Programme aus farbigen Bauklötzen zusammengesteckt werden. Auch fortgeschrittene Konzepte wie die Objektorientierung und die Ereignisbehandlung werden abgebildet.

Ein Trick, PCs zu verkaufen?

Was ist die Antriebsfeder für Facebook und Microsoft, die über Mark Zuckerberg und Bill Gates die Programmierung für alle forderten und förderten? Der «PC Magazine»-Kolumnist John C. Dvorak schrieb, er sehe «The Hour of Code» als Trick, mehr Computer an Schulen zu verkaufen. Auch ETH-Professor Juraj Hromkovic sagt, die Motivation der Konzerne sei «ein bisschen komplizierter»: «Sie haben nicht in erster Linie das Ziel, das Bildungssystem zu verbessern. Es fehlt an kompetenten Leuten in der Branche.» Mehr besser ausgebildete Entwickler helfen, mehr Software zu verkaufen. Hromkovic will trotz seines ­Engagements die Informatik nicht über andere wichtige Wissensgebiete wie die Mathematik oder die Physik stellen.

Der Gründer der Lernplattform Codeschool.com, Gregg Pollack, stellt sich ebenfalls auf den Standpunkt, es müsse tatsächlich nicht jeder Programme oder Apps schreiben können. Für sinnvoll erachtet er ein grundsätzliches Verständnis für den Code – wer die Logik der Programme kennt, lässt sich von Fehlern weniger einschüchtern und kann bei ­Bedarf gezielter um Hilfe fragen.

Wer die Maschine versteht, kann ihr selbstbewusster gegenübertreten und ist ihr nicht ausgeliefert.

Die Befürworter wollen das Programmieren zu einem Volkssport machen. Foto: Screenshot Youtube

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 1. September 2014

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