Müde Comic-Helden auf dem Tablet

Asterix & Co. sind noch nicht im papierlosen Alltag angekommen. Die wenigsten digitalen Geschichten reizen die technischen Möglichkeiten wirklich aus.

Von Matthias Schüssler

Die ganze Welt ist digital. Die ganze Welt? Nein! Eine kleine, unbeugsame Mediengattung hört nicht auf, dem Fortschritt Widerstand zu leisten. Es handelt sich, beim Teutates, um die Kunstform der Bildergeschichten. Dabei sind gemäss dem Klischee Nerds und Computerfreaks besonders versessen auf Comics. Diese wären ihrerseits ideal, um am Tablet konsumiert zu werden. Die brillanten Displays lassen Farben strahlen, wie es höchstens eine Reproduktion auf Hochglanzpapier könnte. Bei japanischen Mangas liesse sich die Leserichtung nach Gutdünken wählen. Normalerweise liest man sie von hinten nach vorn, was aber nicht jedermann zusagt. Und natürlich liessen sich die Geschichten multimedial aufwerten – durch Musik, Sound- oder Animationseffekte.

Doch die Comics machen von diesen neuen Möglichkeiten kaum Gebrauch. Der neue Asterix-Band, der bei den Pikten spielt, ist zwar fürs Tablet erhältlich. Als iPad-Nutzer besorgt man sich das Abenteuer für 9 Franken aus dem iTunes-Store. Die Kindle-Variante steht allen Plattformen offen, also Android, Windows 8 und iOS. Doch beim digitalen Asterix, so wie man ihn in der iBooks-App liest, handelt es sich um ein reines Faksimile ohne multimediale Aufwertung. Da Comicbände im A4-Format deutlich grösser sind als die gängigen Tablets, bringt das Lesen viel Zoomen und Scrollen mit sich. Das schmälert das Vergnügen. Die grosse Comixology-Plattform vereinfacht den Lesefluss mithilfe der «Guided View»: Dieser Darstellungsmodus zeigt die einzelnen Panels im Vollbild. Per Wischgeste gelangt man zum nächsten Bild.

Der digitale Comicladen

Comixology verbreitet seit 2007 digitale Comics. Die Plattform wird von einem New Yorker Unternehmen betrieben und konnte vor einem halben Jahr 180 Millionen Downloads feiern. Das Angebot steht für alle gängigen Plattformen und im Webbrowser zur Verfügung. Es umfasst vor allem Titel aus den USA. Seit einem Jahr hat Comixology immerhin eine Niederlassung in Paris und rund 700 französische Titel im Programm.

In der App gibt es einen Store, der das Angebot nach Urheber, Verlag und Genre auffächert und auch einige Gratistitel offeriert. Seit letztem März gibt es ein Self-Publishing-Programm, über das Comicautoren ihre Bücher ohne eigenen Verlag im Rücken selbst anbieten. Als spezialisierter Comicladen präsentiert der Comixology-Store das Angebot übersichtlicher als Apples chaotische Online-Einkaufsmeile, die auch Musik, Videos, Hör- und normale Bücher anbietet.

In welcher Form die digitalen Comics erscheinen, bestimmen die Lizenzgeber der Comics. Elke Schickedanz, Pressesprecherin des Verlags Egmont Ehapa, verweist darauf, dass die iPad-Variante von Disneys Lustigen Taschenbüchern eine Art Guided View verwendet. «Panel Fly» nennt sie sich dort. «Auf Wunsch des Lizenzgebers ist diese Technik aber bei Asterix nicht umgesetzt worden. Dies gilt allerdings auch für viele andere Lizenzgeber», erklärt Schickedanz.

Das europäische Pendant von Comixology heisst Mad Dog Comics. Die App ist für iPad, Android und Windows Phone erhältlich. Sie hält um die 1000 deutschsprachige Titel bereit – ebenso viele sind laut Verlagsangabe in Vorbereitung. Der bekannteste Comic-Held bei Mad Dog ist der schnell schiessende Cowboy Lucky Luke. 16 Titel aus der Serie sind erhältlich, die man digital für 8 Franken pro Band kauft. Auch hier gibt es eine Leserführung, die bei dieser App «Dynamic Panel View» heisst. Sie führt einen zum nächsten Bild, wenn man das Display antippt. Leider wurden die Comics für Retina-Displays in zu geringer Auflösung gescannt.

Die allermeisten Comics werden hierzulande auf Papier gelesen. «Der Anteil des digitalen Geschäfts macht derzeit etwa ein Prozent vom gesamten Comicumsatz aus», sagt Elke Schickedanz. Er nimmt aber zu: Der neue Asterix verzeichnet bis jetzt total gut eine Million Verkäufe, via iTunes wurden 15 000 EBooks abgesetzt. Kindle-Verkaufszahlen liegen dem Verlag noch nicht vor.

In Bereichen mit unterentwickelten digitalen Angeboten blüht die Piraterie. Das ist auch bei den Comics so. Quantifizieren lässt sich das Problem kaum. Schickedanz weiss aber, «dass in illegalen Tauschbörsen alle Lustigen Taschenbücher herunterladbar sind. Es gibt also Menschen, die diese Seite für Seite einscannen.» Ein gutes legales Angebot an digitalen Comics könnte dem Kampf gegen die Piraterie helfen, das habe die Branche von der Musikindustrie gelernt: «Je mehr hochwertige, legale Angebote es im Markt gibt, umso weniger werden Fans von digitalen Angeboten auf illegale Produkte zurückgreifen.»

www.comixology.com, www.maddogcomics.de

Noch kein Happy End: Bildergeschichten im Tablet-Format lassen es an Lesekomfort vermissen. Screenshot: TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 20. Januar 2014

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