Rivalen Warum Apple heute mehr wert ist als Microsoft.

Die Kunst des richtigen Timings

Von Matthias Schüssler

Kürzlich hat Apple an der Börse den Softwaregiganten Microsoft überholt. Zum ersten Mal seit Dezember 1989 war das Unternehmen aus Cupertino mehr wert als der Dominator aus Redmond. Es gibt Experten, die in dieser Wachablösung ein Ereignis von historischer Bedeutung sehen.

Seit dem Flop mit dem unausgereiften Betriebssystem Windows Vista, dem Debakel um den Musikplayer Zune und der Suchmaschine Bing, die keinen Stich gegen Google hat, halten viele Microsofts Niedergang für eine Frage der Zeit. Dies, obwohl der Riese nach wie vor die PC-Desktops beherrscht und bei der Bürosoftware unangreifbar scheint.

Bill Gates und Steve Jobs haben Microsoft und Apple zur gleichen Zeit und unter ähnlichen Bedingungen gegründet: in der Garage, wo sie nicht unbedingt ureigenste Ideen umsetzten. Jobs liess sich Ende der 70er-Jahre von Xerox’ grafischer Benutzeroberfläche inspirieren, während Gates mit MS-DOS das grosse Geschäft machte – einem Betriebssystem, das er einem Mann namens Tim Paterson für lächerliche 50 000 Dollar abgekauft hatte.

Heute sind die Rollen unterschiedlich verteilt: In nur zwei Monaten hat Apple 2 Millionen iPads verkauft. Der Firmenname ist zum Synonym für Kreativität geworden, während es von Microsoft heisst, es verwalte nur noch seine Lorbeeren. Doch stimmt diese oft gehörte Ansicht?

Nicht durchs Band. «Surface» zum Beispiel, Microsofts Computertisch mit Touchscreen-Monitor, hat ein Bedienungskonzept, das so wegweisend ist wie jenes von Apples iPhone. Auch Microsofts Windows Phone 7 überzeugt als Konkurrent des iPhone. Und während alle das neue iPad feiern, geht vergessen, dass es in der PC-Welt schon 2002 Tablet-Rechner gab.

An diesen Beispielen zeigt sich vor allem eines: Microsoft hat ein miserables Timing. Sein Tablet kam fünf Jahre zu früh, das Windows Phone 7 kommt drei Jahre zu spät.

Steve Jobs ist kein Erfinder

Steve Jobs hat weder Computer, Musikplayer noch Tablet-Rechner erfunden. Aber er ist unerreicht in der Entwicklung marktreifer Produkte. Jobs kann nur etwas gut, das aber so perfekt wie kein Zweiter: das «Productizing». Wenn er eine Idee in ein Gerät umwandelt, dann will es jeder haben – selbst wenn es, wie das iPad, keine Kamera und keinen USB-Anschluss hat. Der Meister des Productizing beherrscht auch das Weglassen perfekt.

Jobs besitzt ein einziges, überragendes Talent, während Microsoft viele Fehler hat. Zum Beispiel den Hang, Produkte mit Funktionen vollzustopfen, bis niemand mehr den Durchblick hat. «Bloatware», Blähware, nennt sich das Phänomen, das zu einer Verweigerungshaltung bei den Konsumenten führt. Der Schriftsteller Umberto Eco beschrieb 1995 den Macintosh als katholisch und die PC-Welt als protestantisch. Der Mac sei heiter, freundlich, konziliant. DOS dagegen «fordert persönliche und quälende Entscheidungen». Und «es setzt voraus, dass das Heil nicht für alle in Reichweite ist».

Microsoft hat ein weiteres Problem: die Bunkermentalität. Abteilungen werkeln ohne jede Kooperation vor sich hin. Wenn die Entwickler des Zune-Musikplayers eine neue MP3-Verwaltungssoftware schaffen, käme niemand auf die Idee, sie als Ersatz für den missratenen Windows Media Player zu nutzen. Solche Integrationsprobleme sind der Grund, warum Microsoft dasselbe Schicksal wie den Dinosauriern blühen könnte.

Ironisch ist, dass sich Apple mit zunehmender Marktmacht mehr und mehr wie Microsoft gebärdet. Beziehungsweise schlimmer. So drakonisch, wie Apple das iPad-iPod-iPhone-Universum kontrolliert, war Microsoft selbst zu besten Zeiten nie. Gut möglich, dass auch Steve Jobs bald einen Dinosaurier dirigiert – sollte seine Erfolgssträhne irgendwann reissen.

Viel Selbstbewusstsein, gutes Design: Ein Glaswürfel als Eingang zu Apples New Yorker Filiale. Foto: Mark Lennihan (AP, Keystone)

Quelle: Tages-Anzeiger, Dienstag, 1. Juni 2010

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