Werkzeuge fürs Business-Publishing

Die Open-Source-Software Scribus bringt Gedrucktes kostenlos in Form. Doch deswegen werden Gestaltungsveteranen wie Ragtime nicht arbeitslos.

Matthias Schüssler ist Journalist und Fachbuchautor in Winterthur.

Der Begriff des Business-Publishings wurde in den letzten Jahren geprägt. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gestalten von Drucksachen vermehrt zu den Büroaufgaben zählt. Gestiegen sind auch die Qualitätsansprüche. Mit Textwüsten oder einer aus der Schreibmaschinen-Ära stammenden Aufmachung lockt man das Publikum nicht hinter dem Ofen hervor.

Im harten Kampf um die Aufmerksamkeit braucht es neue Geschütze. Eine Layoutsoftware wie Scribus beispielsweise. Sie bietet die ganze Palette an Möglichkeiten, mit denen man seine Drucksachen interessant, leserfreundlich und augenfällig gestaltet. Scribus erlaubt einen flexiblen Umgang mit Textelementen, rückt Bilder auch in grösserer Zahl in die Publikation und bringt die Sache am Schluss ohne Umstandskrämerei aufs Papier.

Mit vielen Wassern gewaschen

Scribus ist ein Open-Source-Projekt, das es seit 2003 für Linux gibt und das Ende 2005 auf Windows und den Mac portiert wurde. Das neunköpfige Entwicklerteam kennt die professionellen Layoutboliden offensichtlich gut. Viele Konzepte funktionieren genauso wie in Indesign und Quark-Xpress. Der Rahmen übernimmt die Rolle als zentrales Gestaltungselement, in das man Bilder und Texte einfüllt. Das Verknüpfungswerkzeug stellt die Verbindung zwischen Rahmen her und steuert den Textfluss. In manchen Bereichen braucht sich das freie DTP-Programm nicht hinter seinen Vorbildern zu verstecken. So gibt es ein Farbmanagement, eine Ebenen-Verwaltung und Unterstützung für ICC-Profile (International Color Consortium). Scribus beherrscht die Vierfarbseparation, erstellt direkt PDF-Dateien und war die erste Layoutsoftware überhaupt, die den rigiden PDF/X-3-Standard erfüllte. Er sorgt für Produktionssicherheit, weil die Druckvorstufenüberprüfung, auch Preflight genannt, Ausgabeprobleme rechtzeitig erkennt.

Bei vielen kleinen Details hat das Scribus-Team weiter gedacht als die Entwickler bei Adobe oder Quark. Der Farbkreis hilft beim Aussuchen gefälliger Kombinationen, indem er auch Komplementärfarben, triadische Kombinationen oder analoge Farben bietet. Er zeigt aber auch, wie die gewählten Farben auf Farbenblinde wirken, und lässt Rückschlüsse auf die Lesbarkeit zu.

Das Programm leidet in der aktuellen Version aber noch an Kinderkrankheiten: Der Import von Dateien klappt nicht immer wunschgemäss, und der Umgang mit Druckformaten ist verbesserungsfähig. Es gibt keinen Import von GIF-Grafiken, wohl aus mittlerweile eigentlich hinfälligen lizenzrechtlichen Gründen. Die Menüs wechseln mitunter willkürlich von Deutsch nach Englisch. Es treten auch Abstürze auf, und die gemächliche Arbeitsgeschwindigkeit bei grossen Dokumenten zerrt an den Nerven. Für kleine Projekte darf man Scribus aber ungeniert empfehlen.

Tanz auf allen Hochzeiten

Die Layoutsoftware Ragtime, die bereits 19 Jahre auf dem Buckel hat, ist vor Kurzem in Version 6 erschienen. Sie wird explizit als Business-Publishing-Anwendung verkauft. Vertriebsunterlagen, Exposés, Preislisten, Kataloge, Berichte, Statistiken, Analysen – für all das fühlt sich Ragtime zuständig und bestens gerüstet. Die Software kennt sich mit den gebräuchlichen Office-Formaten aus, beherrscht Fussnoten und kann mit entsprechenden Erweiterungen auch direkt auf Filemaker- oder ODBC-Datenbanken (Open Database Connectivity) zugreifen.

Enorm nützlich fürs geschäftliche oder wissenschaftliche Publizieren sind Ragtimes Talente bei Tabellen und Diagrammen. Die deutsche Software setzt auch die so genannten «Rechenblätter» typografisch akkurat. Das wertet insbesondere im Offsetdruck produzierte Dokumente auf. Ragtime kann, anders als die anderen Layoutprogramme, aber auch rechnen. Die entsprechenden Fähigkeiten reichen zwar nicht an Excel heran, sind aber gut genug für durchschnittlich komplexe Aufgaben. Dank dieser Möglichkeiten kann man direkt in der Layoutsoftware mit Zahlen und Werten arbeiten. Ragtime hält Daten und Diagramme verknüpft, sodass sich geänderte Zahlen sofort manifestieren. Der Hersteller nennt das «lebende Verbindungen». Die Diagramme ihrerseits heissen nach Ragtime-Terminologie «Infographik» (mit Ph!) und können zwei- oder dreidimensional sein. In der Galerie gibt es mehr als 200 Vorlagen, darunter auch Polar-, Ternär-, Ballondiagramm oder mehrfache Wertachsen.

Zur Bedienung der Software hat sich die Herstellerin viele Gedanken gemacht. Die Oberfläche ist übersichtlich, die meisten Dialogboxen sind leicht verständlich. Nach der unverzichtbaren Einarbeitungsphase kommen auch Anwender zurecht, die weder das Setzerhandwerk gelernt haben noch täglich acht Stunden layouten. Etwas verwirrlich ist, zumindest anfänglich, dass man einen einzelnen Rahmen durch den Befehl «Komponente öffnen» ausserhalb des Layouts bearbeiten kann und manche Befehle nur zur Verfügung stehen, wenn man vorgängig genau das tut. Wichtig für den Umgang mit den Komponenten ist das Inventar. Es zeigt eine Übersicht der Dokumenten-Ressourcen an und kann auch Elemente enthalten, die im Layout nicht erscheinen. Dazu zählt beispielsweise ein Rechenblatt, das als reiner Datenlieferant für eine Grafik fungiert. Das ist zweckdienlich, aber nicht auf Anhieb einleuchtend. An dieser Stelle merkt man dem Layoutveteran sein Alter an. Bei einer heute entwickelten Software würde man ein solches Konzept wohl intuitiver realisieren. Über die Grundfunktionen hinaus bietet die neue Version unter anderem Transparenz für Texte und Grafiken, Unterstützung für die Volltextsuche von Windows oder Mac und HTML-Export. Die kostenlose Version für Privatanwender hat die Herstellerin dagegen ersatzlos gestrichen.

Ragtime hat seine Stärken bei Tabellen und Diagrammen und besitzt eine gut bestückte Werkzeugpalette. Wer Publishing semiprofessionell betreibt und sich nicht mit separaten Programmen fürs Layout, das Rechnen oder die Vektorgrafikbearbeitung herumschlagen mag, findet in Ragtime eine gut integrierte «All in One»-Lösung.

Valable Bürowerkzeuge

Mit diesem Angebot an Layoutwerkzeugen gibt es wirklich keine Ausrede mehr, wenn Visitenkarten aussehen, als stammten sie aus der Steinzeit, und Memos nur zur Kenntnis genommen werden, weil Lesezwang herrscht. Scribus eignet sich für die sporadische Publishingtätigkeit und für Anwender, die Wert auf das Äussere legen, aber keinen Posten «Layoutsoftware» im IT-Budget haben. Ragtime bietet sich für zahlen- und datenlastige Publikationen an. Im Büroumfeld eignen sich beide als Alternativen zu den professionellen Layoutprogrammen Indesign und Xpress.

Quelle: Computerworld, Freitag, 6. Oktober 2006

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Thema: Softwaretest
Nr: 7476
Ausgabe: 06-40
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