Smartphone und Sterben

Apps fürs Lebensende

Wie unterschiedlich Menschen mit dem Tod umgehen, wird im App-Store fassbar: Es gibt morbide Faszination, zielgerichtete Hilfestellung und trotziges «Jetzt erst recht!».

Matthias Schüssler

Apps für den Fall, dass wir selbst endgültig offline gehen.

Das Smartphone ist eine Art allwissendes Orakel des 21. Jahrhunderts. Da liegt eine Frage auf der Hand: Weiss das Smartphone womöglich auch, wann uns die Stunde schlägt? Und klar: Hellsehen kann das Smartphone nicht. Doch das Smartphone zählt unsere Schritte, kennt unseren Gewichtsverlauf und vielleicht sogar Puls und Blutdruck. Das müsste doch als Datenbasis für eine solide Prognose taugen – oder?

Wissenschaft oder Hokuspokus?

Und natürlich gibt es Apps, die genau das behaupten: Final Countdown (2 Fr., fürs iPhone und Android) greift jedoch nicht auf die Gesundheitsdaten zurück, sondern stellt bloss einige Fragen zu Lebensumständen – um dann einen Countdown anzuzeigen, wie viele Jahre, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden einem noch bleiben. Deadline (Gratis, fürs iPhone) zapft gespeicherte Gesundheitsdaten an und ergänzt sie mit einem kurzen Fragebogen zu lebensfördernden und verkürzenden Gewohnheiten. Die App gibt das zu erwartende Alter in Jahren an – das in meinem Fall markant von der Prognose der von Final Countdown abweicht. Das Experiment mit diesen beiden Apps hinterlässt jedenfalls das gleiche Gefühl wie ein Besuch beim Wahrsager am Jahrmarkt, der seine Weitsicht aus einer Kristallkugel bezieht.

Wenn es nach der Final-Countdown-App geht, hat der Autor noch gut 33 Jahre.
Foto: Matthias Schüssler (Screenshot)

Die Deadline-App sieht die Lebenserwartung bei 89 – was eine Differenz von mehreren Jahren zur vorherigen App ergibt.

In den Stores und im Web gibt es noch viel mehr Apps zum Tod. Das US-Onlinemedium «Vox» stellt einen Zusammenhang zu den Millennials her: Sie seien «death positive», stünden dem Tod positiv gegenüber. Einige Vertreter dieser Generation planen ihr Begräbnis mit Inbrunst, obwohl sie noch in ihren Dreissigern stecken. Und selbstverständlich tun sie das auch digital: Lantern.co ist ein Planungswerkzeug fürs Lebensende, das man für sich selbst oder für einen Angehörigen verwenden kann; ähnliche Dienste sind Joincake.com, Empathy.com und Everplans.com.

Glücklich, weil sterblich

Deadhappy.com ist eigentlich eine Lebensversicherung. Aber hilft ihren Kunden auch, letzte Wünsche und Anordnungen zu hinterlassen. Wie die schrägen Promo-Videos andeuten, sind verschrobene Ideen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht – etwa, eine lebensgrosse, nackte Bronzestatue von sich selbst herstellen zu lassen. Eine App will «Glück vermitteln», indem sie uns dazu bringt, über unsere Sterblichkeit nachzudenken. Sie heisst We Croak (Wir beissen ins Gras), existiert für iPhone und Android und schickt Nutzerinnen und Nutzern fünfmal pro Tag eine Push-Benachrichtigung mit einem Sinnspruch zum unausweichlichen Hinschied.

Die We-Croak-App liefert fünfmal am Tag einen «Memento mori»-Moment.

Dieser saloppe Zugang ist typisch angelsächsisch. Hierzulande ist das Angebot kleiner und auf Pietät gedreht. Die App Beistand im Todesfall (Android und iPhone) hat den Look einer Todesanzeige mit brennender Kerze im Hintergrund. Sie hält eine To-do-Liste mit Dingen bereit, die nun zu erledigen sind. Und sie gibt Tipps zur Verwaltung des digitalen Erbes (siehe dazu auch «So organisieren Sie Ihr digitales Erbe»).

Die App für das letzte Video

In Europa sind es die Wiener, denen eine besondere Beziehung zum Tod nachgesagt wird. Folgerichtig stammt die Last App aus Österreichs Hauptstadt (für iPhone). In dieser App tragen wir ein, was wir unseren Angehörigen noch mitteilen wollten. Wir können angeben, wo wichtige Computer-Passwörter hinterlegt sind und welche administrativen Aufgaben warten. Die App nimmt auch letzte Fotos und ein Video entgegen und erlaubt es, Anweisungen fürs Begräbnis zu treffen. Dann werden sogenannte Paten bestimmt: Sie müssen allesamt den Tod bestätigen, damit die Informationen an die Empfänger, die in der App eingetragen sind, verschickt werden.

Die App «Beistand im Todesfall» mit Informationen für die Hinterbliebenen.

Die LastApp übermittelt letzte Wünsche, Bilder und Videos an die Hinterbliebenen.

Doch noch ist es nicht so weit – das ruft iWish in Erinnerung.
Foto: Screenshot schü

Ein letztes Video für die Angehörigen? Das nimmt man nicht eben leichthin während einer Arbeitspause auf. Wem das eine zu direkte Konfrontation mit dem Tod ist, der konzentriert sich auf all die Dinge, die es im Diesseits zu tun gibt. Es existiert eine ganze Reihe von Bucket-List-Apps, denen wir unsere grossen Pläne und Projekte anvertrauen. Die bekannteste ist iWish (fürs iPhone). Die hält – für die Einfallslosen unter uns – eine Vielzahl an Ideen bereit. Eigene Ideen werden mit Titel, Beschreibung, Kategorie, einem Zieldatum und Ort erfasst und lassen sich als Collage, auf einer Karte oder als Liste anzeigen, in der die erreichten Ziele abgehakt werden.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 24. November 2022

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