Den Akku leeren, bevor man neu lädt – ist das richtig oder falsch?

Digitale Mythen Wir untersuchen häufig gehörte Behauptungen rund um das Smartphone, den Computer und die sozialen Medien. Damit Sie auch im neuen Jahr den Anschluss finden.

Matthias Schüssler

— Smartphone

«Apps müssen geschlossen werden.» Viele Nutzer haben die Bewegung verinnerlicht: In der Task-Ansicht – die man durch Wischen vom unteren Rand oder durch doppeltes Drücken des Home-Knopfs aufruft – werden die Apps durch Wischen nach oben beendet. Doch das spart weder Akku noch Arbeitsspeicher: Anders als Windows und Mac sorgen die mobilen Betriebssysteme dafür, dass Apps im Hintergrund keine unnötigen Ressourcen verbrauchen. Darum gilt: Apps zu «killen», ist nur nötig, wenn sie abgestürzt sind oder nicht richtig funktionieren.

Weitere Empfehlungen gibt es rund um den Akku: «Man darf nicht mit dem Telefon arbeiten, während es am Stromkabel hängt», «Es ist sinnvoll, nur bis 80 Prozent zu laden», «Wenn der Akku voll ist, sollte man das Gerät sofort abhängen.» Diese Tipps haben zwar einen wahren Kern, indem sie die Gefahr von frühzeitigen Alterserscheinungen minimieren. Doch weil sie im Alltag nur schwer umsetzbar sind, haben die Gerätehersteller den Ladevorgang längst so optimiert, dass der Akku auch bei nicht idealer Handhabung nicht über Gebühr Schaden nimmt.

Sinnvoll ist allerdings, die Batterien keinen extremen Temperaturen auszusetzen. Laptops sollten typischerweise nicht bei unter 10 Grad verwendet werden, Smartphones nicht bei unter null Grad. Und Temperaturen über 35 Grad sind für alle Geräteklassen ungesund. Beim Laden können manche Smartphonehüllen dazu führen, dass das Gerät zu heiss wird. Dann lohnt es sich, das Gerät aus der Hülle zu nehmen – und nicht auch noch ein Spiel zu spielen, das den Prozessor voll auslastet.

«Man muss den Akku erst ganz leeren, bevor man ihn neu lädt.» Dieser Tipp ist definitiv obsolet. Der Memory-Effekt, der die Kapazität empfindlich beeinträchtigt hat, tritt bei Lithium-Ionen-Akkus nicht mehr auf.

«Das Handy ist dreckiger als die WC-Brille!» Diese Behauptung schafft es regelmässig in die Schlagzeilen. Und ganz falsch ist sie nicht: Studien zeigen, dass sich auf Smartphones tatsächlich viele Bakterien und Viren ansammeln können. Allerdings machen die uns Nutzer nicht automatisch krank: Wenn man sich regelmässig die Hände wäscht, wie das derzeit sowieso angebracht ist, ist die Gefahr einer Infektion gering.

Für die Reinigung empfehlen die meisten Hersteller ein weiches, leicht angefeuchtetes, fusselfreies Tuch. Seifenwasser darf sparsam eingesetzt werden. Auch wenn viele moderne Telefonmodelle wasserdicht sind, sollte man darauf achten, dass keine Feuchtigkeit in die Buchsen eindringt. Für eine intensive Reinigung sollte man das Gerät abschalten. Ein mildes Desinfektionsmittel ist erlaubt – aber man gibt es besser aufs Reinigungstuch und nicht direkt aufs Gerät.

— Soziale Medien

«Facebook belauscht private Gespräche.» Immer wieder hört man von Leuten, dass kurz nach einer Unterhaltung zu einem bestimmten Thema die App genau die passende Werbung dazu angezeigt hat. Das kann doch kein Zufall sein? Man spricht über eine Reise nach Prag, und wenig später wird sie einem von Facebook angeboten.

Diese Behauptung ist so weit verbreitet, dass sich Facebook zu einer Stellungnahme genötigt sah: Facebook und auch Whatsapp würden das Mikrofon nur dann aktivieren, wenn der Nutzer das wolle – zum Beispiel, um eine Sprachnachricht aufzuzeichnen. Der Norddeutsche Rundfunk hat in einem Experiment festgestellt, dass in einzelnen Fällen tatsächlich passende Werbung erschienen ist. Allerdings beweist das keine Abhörung: Die Testgespräche haben sich um alltägliche Dinge wie eine Hochzeit und Körperpflege gedreht, die oft besprochen und häufig beworben werden.

Eine weitere urbane Legende, die Facebook selbst anspricht, ist folgende: «Facebook erlaubt es den Werbekunden, mit den privaten Fotos der Nutzer Anzeigen zu schalten.» Das soziale Netzwerk beteuert jedoch, das sei nicht der Fall: Die Rechte würden bei den Nutzern verbleiben. Allerdings ist Facebook nicht unschuldig an diesem Verdacht, denn mit den «social ads» wurden die Namen von Nutzern in Werbeanzeigen genannt, wenn diese das Produkt mit einem Like versehen haben.

Unhaltbar ist auch diese Annahme: «Wenn man mit Änderungen der Nutzungsbedingungen nicht einverstanden ist, kann man per Statusmeldung dagegen Widerspruch einlegen.» Doch das ist einfach nur ein Schwindel, der sich nach dem Prinzip des Kettenbriefs verbreitet. Denn die Nutzungsbestimmungen gelten für alle Nutzer.

— Computer

Die ältesten Mythen gibt es zum klassischen PC. Zum Beispiel der Glaubenssatz, man solle an einem funktionierenden System ja nichts ändern («Never touch a running system!»). Er könnte daher rühren, dass die grossen Updates in der Vergangenheit oft dazu geführt haben, dass Software schwerfälliger, komplizierter und fehleranfälliger geworden ist. Doch bei Computern, die ans Internet angeschlossen sind, hat man keine andere Wahl, als zumindest die Sicherheitsupdates einzuspielen.

Überhaupt ist diese Empfehlung im Kern fortschrittsfeindlich. Denn selbst wenn ein Windows-XP-PC noch problemlos laufen sollte, wäre er einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Überholt ist auch die Annahme, dass man das Betriebssystem mit der gleichen Regelmässigkeit pflegen muss wie den Lack der Familienkarosse und den Flokati-Teppich – statt zu polieren und staubzusaugen, haben sich alte PC-Hasen Gewohnheiten wie diese angeeignet: «einmal wöchentlich Windows mit ‹CCleaner› aufräumen, beim Mac ‹Clean my Mac› laufen lassen und alle 14 Tage die Festplatte defragmentieren». Letzteres wäre bei den modernen SSDs sogar schädlich – und die ersten beiden Massnahmen kann man sich auch getrost sparen: Die Betriebssysteme pflegen sich nämlich selbst ganz gut. Eine Regel hat aber weiter Bestand: Wer seine Daten nicht verlieren will, sollte sie regelmässig sichern.

Weitere Fehlannahmen im Bereich der Sicherheit: «Ich hole mir kein Virus, wenn ich in dubiosen Mails den Anhang nicht öffne und auf fragwürdigen Websites keine Links betätige!» Oder: «Man merkt, wenn der Computer infiziert ist, weil er dann langsamer wird.» Nein: Raffinierte Schadsoftware schleicht sich auch ganz von alleine ein und verrät sich nicht ohne weiteres.

Batterien in einem Smartphone sollen wenn möglich nur Temperaturen zwischen 0 und 35 Grad ausgesetzt werden. Foto: Alamy

Einmal wöchentlich das Betriebssystem aufräumen? Das kann man sich getrost sparen, es pflegt sich selbst.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 23. Dezember 2020

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