Smart Glasses

Kommen die smarten Brillen jetzt endlich in Gang?

2022 nehmen die Hersteller einen neuen Anlauf: Das chinesische Unternehmen Oppo prescht mit seinem AR-Modell vor, und es gibt Anzeichen, dass auch Google sein Glass-Trauma überwunden hat.

Matthias Schüssler

Mit einer AR-Brille im Museum erscheinen die Informationen zu den Exponaten virtuell im Sichtfeld der Besucher. Das Foto zeigt das Liangzhu-Museum, dessen Ausstellungsstücke im Juli 2019 ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurden.

Man kann nicht behaupten, die smarten Brillen hätten die Welt im Sturm erobert. Als Google vor knapp zehn Jahren den Startschuss gab, waren die Reaktionen verhalten. Seither hat sich daran nichts geändert. Allfällige Hoffnungen, mit einer nächsten technischen Revolution an den Erfolg des Smartphones anschliessen zu können, haben sich nicht bewahrheitet. Selbst im Vergleich zu den smarten Uhren sind die smarten Brillen erfolglos geblieben.

Die Hersteller haben sich selbst die Tour vermasselt

Das ist die Schuld der Hersteller selbst: Google, das als Pionier in dieser Sphäre gilt, hat mit «Project Glass» einen regelrechten Flop gelandet. Die Herstellung der Brille, die 2012 als Prototyp vorgestellt wurde und ein Jahr später in einer kleinen Serie für Entwickler auf den Markt kam, wurde 2015 eingestellt.

Google Glass war kein Überflieger.

Aus dieser Pleite haben die Hersteller nichts gelernt: Google Glass ist einerseits daran gescheitert, dass die Technik noch nicht ausgereift war. Andererseits war das Produkt sozial nicht akzeptiert, weil man mit ihm heimlich filmen und fotografieren konnte. Doch statt den Datenschutzbedenken Rechnung zu tragen und mit echten Innovationen zu beweisen, dass smarte Brillen im Alltag einen Mehrwert bieten, kamen weiterhin Modelle auf den Markt, die filmen und fotografieren, aber nicht viel mehr als das können.

Das ist das Manko nicht nur der Snap Spectacles, die der Chat-App-Betreiber Snapchat im November 2016 lanciert hat. Auch die Ray-Ban Stories krankt daran: Das ist die Sonnenbrille, die Facebook diesen Sommer zusammen mit dem französischen Optiker-Unternehmen Essilor Luxottica auf den Markt gebracht hat: Die sei nicht bloss smart, sondern ein wenig zwielichtig, hatte die «Washington Post» befunden.

AR-Profi glaubt, Zeit für den Massenmarkt sei gekommen

Jetzt nimmt die Branche einen neuen Anlauf: Vuzix hat ein Modell vorgestellt, das auch an der Tech-Messe CES im Januar in Las Vegas zu sehen sein wird. Der US-amerikanische Hersteller ist ein Pionier in diesem Feld: 1997 gegründet, entwickelt das US-Unternehmen Headsets für Augmented-Reality-Anwendungen, die im Gaming, für Telemedizin, aber vor allem auch beim Militär zum Einsatz kommen. Die Vuzix Shield ist zwar noch immer recht klobig, hat aber ein einigermassen modisches Design und ist darauf ausgelegt, den ganzen Tag getragen zu werden.

Diese Brille ist für produktive Arbeit gedacht: Man kann mit ihr freihändig auf Sensoren oder Anleitungen zugreifen oder auch Codes einscannen und Anleitungsvideos abrufen.

Ein interessantes, wenngleich nicht unbedingt massentaugliches Produkt hat PC-Hersteller Lenovo Anfang Jahr lanciert: Die Datenbrille Think Reality A3 blendet im Sichtfeld des Nutzers bis zu fünf virtuelle Bildschirme ein, die sich wie echte Computerbildschirme nutzen lassen. Sie funktioniert allerdings nicht autark, sondern benötigt einen per USB-C gekoppelten Windows-Rechner.

Eine Anzeige ganz in Grün – wie zu Anfängen der PC-Ära

Die beiden chinesischen Hersteller Oppo und Xiaomi haben kürzlich ihre Pläne vorgestellt, wie sie der Augmented Reality im nächsten Jahr zum Durchbruch verhelfen wollen. Sowohl die Air Glass von Oppo als auch die Smart Glasses von Xiaomi sollen Informationen in das Gesichtsfeld des Trägers einblenden. Xiaomi verwendet einen Micro-LED-Bildschirm im rechten Brillenglas, der wie die ersten PC-Bildschirme Informationen einfarbig in Grün anzeigt.

Oppo Glass soll es in zwei Varianten geben: Mit Halbgestell für Leute, die keine Brille tragen, und mit Vollgestell für Nutzer mit Sehfehler.

Einen anderen Weg geht Oppo: Sein AR-Gerät ist eine Art Monokel, das an die Brille angeflanscht wird und sich dadurch auch gut mit korrigierten Gläsern benutzen lässt. Es platziert eine Projektionsfläche im Sichtfeld, auf der die Informationen eingeblendet werden. Auch dieses Bild ist nur monochrom in Grün zu sehen, soll aber ausreichend hell sein, damit selbst bei Tageslicht Informationen gut lesbar sind. Die Air Glass wird demnach bei der Navigation im Strassenverkehr helfen und in allen Lebenslagen Instruktionen anzeigen, in denen wir keine Hand freihaben: beim Kochen oder während Fitnessübungen. Und natürlich sollen auch die Benachrichtigungen des Smartphones auf der Brille landen.

Wo bleiben Apple und Google?

Zwei Fragen bleiben: Wird die AR-Brille von Apple, über die seit Jahren spekuliert wird und der das «Wall Street Journal» neulich einen langen Text gewidmet hat, demnächst das Licht der Welt erblicken und den smarten Brillen einen Schub verpassen? Und hat Google sein Glass-Trauma überwunden?

Darauf deutet zumindest der Umstand hin, dass Google ein «Betriebssystem für innovative AR-Geräte» entwickelt. Das geht aus Stellenanzeigen hervor, die der Teamchef Mark Lucovsky aufgegeben hat und in denen er erklärt, dass sein Team als Erstes die neue Hardware zur Verfügung haben wird, wenn «Google sein AR-Portfolio um neue Produkte erweitert». Vor seinem Wechsel zu Google hat Lucovsky die Softwareentwicklung für Facebooks Oculus-Brille geleitet.

Es ist keine gewagte Prognose, dass wir 2022 noch einige smarte Brillen mehr sehen werden. Ob die Technologie aber innert nützlicher Frist ihren Durchbruch erlebt, bleibt abzuwarten.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 16. Dezember 2021

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