Kaum einer will Technik tragen

Mit den Wearables wollten die Techkonzerne die Erfolgsgeschichte der Smartphones wiederholen. Und auch wenn die vielen bisher gescheiterten Gadgets ernüchtern, hoffen manche weiterhin auf die Killer-Anwendung.

Matthias Schüssler

Wearables überführen Mörder und retten Leben. In Connecticut ist im April ein Mann verurteilt worden, der seine Frau getötet hatte. Er hatte die Tat einem maskierten Fremden anlasten wollen. Doch der angebliche Tathergang ging nicht auf. Der Fitnesstracker seiner Frau bewies, dass die Frau zu Fuss unterwegs war, als in ihrem Haus der vermeintliche Angriff hätte stattfinden sollen.

«The Sun» berichtete von einem Mann, der bloss an seiner Apple Watch herumgespielt hatte und anhand der sehr hohen Herzfrequenz erkannte, dass etwas nicht stimmt. Die Ambulanz wurde gerufen, und die Sanitäter stellten einen Herzinfarkt fest.

Das ist gute Presse, die tragbare Gadgets als sehr begehrenswert darstellt. Trotzdem steht es schlecht um sie. Der Posterboy im Bereich der Fitnesstracker ist derzeit auf Schrumpfkurs: Fitbit verzeichnet rote Zahlen, Entlassungen und rückläufige Absätze.

Auch Grosse sind gescheitert

Bei den Anbietern der ersten Stunde haben sich die Reihen gelichtet: Withings wurde im April 2016 an Nokia verkauft, der Name des französischen Start-ups wird verschwinden. Nicht besser erging es Pebble. Das kalifornische Unternehmen hatte seine erste Uhr 2012 mit einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne lanciert und auch hierzulande für einen kleinen Smartwatch-Hype gesorgt. Ende 2016 musste es Insolvenz anmelden und die per Crowdfunding lancierten Smartwatches zurückziehen. Immerhin, die meisten Unterstützer erhielten ihr Geld zurück, doch die Reste des Unternehmens gingen in Fitbit auf.

Die grossen Unternehmen sind ebenso wenig vor Pleiten gefeit. Google hat mit Glass, einer smarten Brille, eine spektakuläre Pleite eingefahren. Das 2012 gestartete ambitionierte Projekt war drei Jahre später am Ende. Nike stellte die Fuelband-Produktion 2014 ein. Das Microsoft Band verschwand Ende 2016 aus den Läden, zusammen mit der Ankündigung, es gebe erst mal keinen Nachfolger. «Das Microsoft Band ist tot», hatte «The Verge» verkündet.

Die Liste liesse sich verlängern: Um den Hersteller Jawbone, der mit dem Up ein populäres Produkt im Angebot hat, inzwischen aber vor allem dadurch auffällt, überhaupt nicht mehr auf Kundenanfragen zu reagieren. Oder um Intel. Der Chiphersteller musste im letzten Jahr seine Smartwatch Basis Peak wegen Verbrennungsgefahr zurückrufen.

Im Nachgang gab es Pressemeldungen zu Entlassungen bei Intels Wearables-Sparte und zu eingestellten Produkten. Intel verneint aber, diesen Geschäftszweig komplett aufgeben zu wollen. Man arbeite mit Partnern wie Tag Heuer und Oakley zusammen. Letztere produzieren mit der Radar Pace eine Sonnenbrille, die beim Rennen oder Velofahren Trainingsinformationen liefert.

Es sei Zeit, das Scheitern anzuerkennen, forderte «Business Insider» vor kurzem. So enthusiastisch die Branche auch war, die Geräte hätten die Erwartungen nicht erfüllt und zu wenig Leute überzeugt. «Im besten Fall sind sie Nischenprodukte für Fitnessfreaks oder für Geeks, die gerne E-Mails an ihrem Handgelenk empfangen.»

Apple ist jetzt die Nummer eins

Auch «The Telegraph» kommentierte lakonisch, der masslose Erfolg der Smartphones habe viele Unternehmen in eine Goldgräberstimmung versetzt. «Doch die Geschichte wiederholt sich selten bis nie.» Die Hoffnung muss beerdigt werden, dass die Gadgets die Löcher stopfen, die die sinkenden Verkäufe bei den Handys hinterlassen.

Bleibt die Frage, ob das Geschäft wenigstens für Apple aufgeht. Das ist schwer zu beurteilen, da Apple keine separaten Verkaufszahlen veröffentlicht. Die Uhren werden zusammen mit den Beats-Kopfhörern, den Airpods, Apple T-Vs und dem Zubehör abgerechnet. Tim Cook hat neulich gesagt, die Sparte allein würde die Anforderungen an ein «Fortune 500»-Unternehmen erfüllen, was so interpretiert werden muss, dass Apple damit etwa 5 Milliarden umsetzt. Demnach ist Apple mit 3,5 Millionen verkauften Uhren inzwischen die Nummer eins. So vermeldete es letzte Woche Marktforscher Strategy Analytics.

Das entspricht einem Marktanteil von 15,9 Prozent für Apple im ersten Quartal. Auf Platz zwei folgt der chinesische Hersteller Xiaomi mit seinen Billig-Fitnessbändern. Strategy Analytics hat im Vergleich zum Vorjahr für Apple ein Plus von 59 Prozent ermittelt. Er sagt, die Apple Watch Series 2 verkaufe sich in den USA und in Grossbritannien gut, vor allem wegen des verbesserten Designs und der guten Präsenz in den Läden.

Die Uhr wird gekauft, doch nicht sonderlich geliebt, so scheint es. Komiker Jan Böhmermann hat sich in seinem Podcast neulich enttäuscht darüber gezeigt, dass ihm ein Hotel seine Uhr retournierte, nachdem er sie dort vergessen hatte – wo er sie offenbar gerne endgültig los gewesen wäre: «Niemand will diese Uhr haben, nicht einmal Diebe!»

Nicht zu übersehen war auch die Häme bei «The Verge», nachdem Google, Amazon und Ebay ihre Apps für die Uhr aus dem Store entfernt hatten: «Während Wochen hat es keiner gemerkt!» Das passt zum alten Vorurteil, dass die Nutzer die Uhr hauptsächlich dazu nutzen, die Zeit abzulesen.

Apps interessieren nicht

Die Ende 2016 durchgeführte Nutzungsstudie des Marktforschers Wristly kommt zumindest teilweise zu einem anderen Schluss: Die Zufriedenheitsraten mit der Uhr sind höher, als Böhmermanns Spottkommentar es vermuten lässt. 95 Prozent finden die Uhr gut oder zumindest okay. Doch die Apps geniessen tatsächlich wenig Popularität. Die meisten Nutzer verwenden nur wenige Apps und installieren selten neue: «Für Entwickler eröffnet das nur sehr eingeschränkte Geschäftsmöglichkeiten.»

Wie weiter mit den Wearables? Der Autor des US-amerikanischen Kulturmagazins «Paste» meint, es brauche noch etwas, das all die Leute überzeuge, die nicht auf tragbare Technik gewartet hätten: «Es könnte Fitness sein, mobiles Bezahlen, GPS, Benachrichtigungen oder irgendetwas ganz anderes, an das noch keiner gedacht hat – oder alles zusammen. Aber wir warten auf die ‹Killer-Anwendung›.» Das ist jene Funktion, die auch Skeptiker überzeugt und ein Produkt unverzichtbar macht. «Und werden wohl noch etwas länger warten.»

Jawbone Up: Die Kundenreklamationen häufen sich. Foto: PD

Google Glass: Zu ambitioniert und vom Publikum nicht akzeptiert. Foto: i Stock

Apple Watch: Das Milliardengeschäft mit den Armbändern. Foto: Stefanie Loos (Reuters)

Intel Basis Peak: Zurückgerufen wegen Verbrennungsgefahr. Foto: «T3 Magazine»

Fitbit: Der ehemalige Marktführer kämpft mit Umsatzrückgängen. Foto: i Stock

Microsoft Band: Ende 2016 ersatzlos gestrichen. Foto: Lucas Jackson (Reuters)

Nike Fuelband: Schon 2014 war dieses Experiment vorbei. Foto: Mike Segar (Reuters)

Pebble: Der Crowdfunding-Shootingstar musste Ende 2016 dichtmachen. Foto: PD

Xiaomi: Die Fitnessarmbänder verkaufen sich dank des günstigen Preises. Foto: PD

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 10. Mai 2017

Rubrik und Tags:

Faksimile
170510 Seite 33.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Aufmacher
Nr: 14397
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: FALSCH