Eine literarische Revolution 😉

Poetisch, kryptisch und komprimierend: Die Emojis werden von den einen als Sprachverluderung verschrien, von den anderen für Literatur benutzt.

Matthias Schüssler

An den bunten Piktogrammen scheiden sich die Geister: «Verhunzen die Smileys unsere Sprache?», fragte die «Schweiz am Sonntag». Inflationär und gedankenlos eingesetzt, erschweren diese modernen Hieroglyphen bei SMS oder Whatsapp-Mitteilungen das Verständnis, statt die Kommunikation zu vereinfachen.

Oder sind die Emojis doch eher die universelle Sprache für die «Generation Z», die in der digitalen Welt gross geworden ist? Das Londoner Kulturmagazin «Culture Whisper» lobt die «poetische, kryptische Kraft» der Emojis und sieht in ihnen gar eine globale, sprachübergreifende Verständigungsform, die wie die japanische Gedichtform der Haikus Augenblicke und Begebenheiten maximal zu komprimieren vermag. «Vor zehn Jahren schien die Idee lächerlich, dass alles in eine Tweet-Nachricht von 140 Zeichen verdichtet werden kann», sagte Nick Kendall zu «USA Today». Er ist der Erfinder der Emojicate-App, bei der man sich allein über die bunten Piktogramme austauscht. «Ein einziges Zeichen kann zehn oder mehr Buchstaben ersetzen», bekräftigt Kendall.

Auch für Fred Benenson sind die Emojis definitiv mehr als eine Krücke für tippfaule Teenager. Er sieht in ihnen eine eigene Ausdrucksform mit literarischer Tragkraft. Benenson hat Kapitän Ahabs wilde Waljagd aus Herman Melvilles Roman «Moby Dick» als «Emoji Dick» nacherzählt. Nicht nur die Sprache ist bei ihm ganz «Generation Z», sondern auch die Produktionsweise des Buchs: Vorfinanziert hat Benenson es über Kickstarter. Engagiert wurden die Übersetzer über Amazons Clickworker-Plattform Mechanical Turk.

Von Mangas inspiriert

Die Emojis wurden Ende der 90er-Jahre von Shigetaka Kurita erfunden. Er hat sich, wie er «The Verge» erzählte, von den Mangas seiner Jugend inspirieren lassen. Seine Kreation erwies sich bei der japanischen Jugend als überaus popu­lär. Sie bescherte dem japanischen Telecomunternehmen NTT Docomo einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Und sie ist zu einem internationalen Standard geworden. Kurita und sein Team hatten die ursprünglich schwarzweissen Symbole nicht als Einzelgrafiken realisiert, sondern als Schriftzeichen in den japanischen Zeichensatz eingeschmuggelt. Das Unicode Consortium, das einen einheitlichen Schriftcode für alle Zeichensysteme dieser Welt pflegt, hat ihnen im Oktober 2010 offiziell Eingang ins Unicode-Schriftsystem gewährt. Daraufhin fanden sie den Weg in die Betriebssysteme von Google, Microsoft und Apple.

Weil die Emojis nicht als Grafiken ausgetauscht werden, sondern als Schriftzeichen, sehen sie nicht auf allen Geräten gleich aus. Nebst den grafischen Nuancen gibt es auch bedeutungsverändernde Unterschiede. Das Zeichen Nummer 128 131 zeigt beim iPhone eine flotte Flamenco-Tänzerin. Bei Android-Telefonen kommt es als untalentierter Elvis-Imitator an. Noch schlimmer ist es um das Zeichen 128 155 bestellt: iPhone-Nutzer sehen es als gelbes, reines Herz. Auf Android wird haariger Lebkuchen daraus. Missverständnisse sind programmiert – auch weil es längst nicht für jeden Zweck das passende Zeichen gibt.

Friedenstaube, Mittelfinger

Der Bestand umfasst bis jetzt 722 Emojis. Er wird weiter ausgebaut. Von Unicode bewilligt, aber noch nicht bei den Nutzern angekommen sind die Zeichen des Updates 7.0, das unter anderem einen gestreckten Mittelfinger, eine Friedens­taube und Mr. Spocks vulkanischen Gruss umfasst. Hingegen wird ­Apple dieser Tage mit einem Update fürs Yosemite-Betriebssystem eine lang erwartete Funktion nachrüsten: die multikulturellen Emojis nämlich.

Damit kommt Apple der Forderung aus einer Onlinepetition nach, die eine bessere Vertretung farbiger Ethnien gefordert hatte. Bisher sind gerade zwei der Figürchen erkennbar nicht weiss – ein Asiat und ein dunkelhäutiger Mann mit Turban. Apple wird das Problem offen­bar über den «Skin Tone Modifier» lösen. Über den lässt sich den kleinen Figu­ren aus sechs Hautfarben eine zuweisen. So werden sich wahrscheinlich sogar die bislang gelben Smileys mit ­einem natürlicheren Teint versehen lassen. Alle kulturellen Vorurteile sind damit nicht ausgeräumt, wie Fred Benenson, der Autor von «Emoji Dick», der «Washington Post» erklärte: Es gebe 14 Emojis für japanisches Essen, aber keines für den Hotdog. Und das Fondue-Emoji sucht man erst recht vergebens.

Wer sich mit diesen Zeichen geschickt auszudrücken vermag, wird von der ganzen Welt verstanden. Foto: PD

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 11. Februar 2015

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