Künstliche Intelligenz

Ein Web-Winzling hängt Microsoft und Google ab

Der Betreiber der alternativen Suchmaschine Duck Duck Go kommt den Techgiganten zuvor: Duck Assist, ein schlauer KI-Helfer bei der Websuche, ist schon jetzt für alle zugänglich. Doch kann er auch inhaltlich mithalten?

Matthias Schüssler

Gabriel Weinberg ist mit seiner auf die Privatsphäre getrimmten Suchmaschine Duck Duck Go den grossen Konkurrenten zuvorgekommen.

Microsoft will die Webrecherche revolutionieren. Bei der hauseigenen Suchmaschine Bing hält ein Chatbot Einzug, der auf Anfragen nicht bloss eine lange Liste von Resultaten, sondern direkte Antworten liefert, die durch Nachfragen verfeinert werden können. Mit Bing Chat hat Microsoft Google aufgescheucht. Der Suchmaschinen-Primus entwickelt mit Bard eine ähnliche Funktion. Doch die Bots der Techkonzerne können noch nicht breit benutzt werden. Bard kommt irgendwann, und für Bing Chat müssen sich Interessenten in eine Warteliste eintragen.

Duck Assist ist für alle da

Während bei den Techgiganten Geduld gefragt ist, hat ein Kleiner die Gunst der Stunde genutzt. Die alternative Suchmaschine Duck Duck Go hat letzte Woche ihren Duck Assist lanciert: Das ist eine Antwortfunktion, die wie bei Google und Microsoft Antworten auf konkrete Fragen liefert. Gabriel Weinberg, dem Chef von Duck Duck Go, ist die Genugtuung über diesen Coup anzumerken, wenn er in seinem Blogpost darauf hinweist, dass ihr Assistent schon heute ganz ohne Registrierung benutzt werden könne.

Duck Duck Go erweist dem Namensvetter die Ehre: Die bekannteste Ente der Welt heisst natürlich Donald.

Ein paar Einschränkungen gibt es trotzdem. Damit der Assistent erscheint, muss die Suchmaschine über die Einstellungen auf Englisch umgeschaltet werden, und im Browser muss die Privacy-Essentials-Erweiterung installiert werden, die es für Chrome und Firefox unter Windows und Mac und für Safari auf dem Mac gibt. Und Duck Assist sollte auch in der Smartphone-App (iPhone und Mac sowie Android) erscheinen, aber das war bei unserem Test nicht der Fall.

Wer ist besser? Duck Assist oder Bing Chat?

Die Frage ist natürlich, wer die besseren Resultate liefert. Um davon einen Eindruck zu erhalten, stellen wir Bing Chat und Duck Assist einige Fragen zur Schweiz (siehe dazu «So gut versteht Microsofts künstliche Intelligenz die Schweiz»):

«Waren Hermann Gessler und Wilhelm Tell Freunde?» Duck Assist sagt, zu dieser Frage habe er keine relevanten Informationen gefunden. Auf die Frage nach der Beziehung der beiden liefert er eine brauchbare Antwort: «Hermann Gessler war ein tyrannischer Herrscher der Schweizer Kantone, und Wilhelm Tell war ein obskurer Jäger, der sich ihm widersetzte.» Für Bing ist der Fall hingegen klar: «Nein, Hermann Gessler und Wilhelm Tell waren keine Freunde.»

«Wie hat Winterthur vom Kolonialismus profitiert?» Bing liefert eine gute Erklärung, unter anderem mit dem Hinweis auf den Handel mit Rohstoffen und Textilien aus den Kolonien: «Viele Winterthurer Kaufleute wurden durch den Handel mit Baumwolle reich.» Duck Duck Go muss wiederum passen. Dieser Assistent liefert bloss einen Verweis auf das «Winterthur Museum», ein Anwesen in Winterthur, Delaware.

«Warum ist in der Schweiz 1969 das Bond-Fieber ausgebrochen?» Bing ist erneut souverän und erklärt, dass «das Schilthorn im Winter 1968/1969 Drehort für den James-Bond-Film ‹Im Geheimdienst Ihrer Majestät› war, der viele Schweizerinnen und Schweizer mit den spektakulären Szenen im Schnee und dem glamourösen Flair» begeistert habe. Duck Duck Go seinerseits kann mit dem «Bond-Fieber» nichts anfangen und liefert stattdessen Informationen zur Hongkong-Grippe – das ist unfreiwillig komisch.

Duck Duck Go muss bei dieser Frage passen.
Alle Fotos: schü (Screenshots)

Beziehungsstatus: Kompliziert. Bing bringt den Konflikt zwischen Tell und Gessler auf den Punkt.

Duck Assist führt uns auf eine völlig falsche Fährte.

Bei der Frage, wie der Kolonialismus Winterthur beeinflusst hat, liefert Bing eine Punktlandung.

Duck Assist liefert zum «Bond-Fieber» eine unfreiwillig komische Antwort.
Dass das Bond-Fieber keine medizinische Angelegenheit ist, schnallt Bing sofort.

Ein Totalversagen des kleinen David gegen Goliath? Nein, das schlechte Abschneiden von Duck Duck Go ist auf die verwendeten Quellen zurückzuführen, denn wie Bing benutzt auch Duck Assist Technologie von Open AI. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Bing Chat sich bei seinen Antworten auf das ganze Informationsangebot aus dem Web bezieht. Duck Assist beschränkt sich hingegen auf Wikipedia und einige zusätzliche Quellen wie die Encyclopædia Britannica – und auch nur auf englischsprachige Informationen.

Auch einmal schweigen können!

Das schmälert den Nutzen für uns hierzulande. Aber es macht auch eines ganz deutlich: Solche KI stehen und fallen mit den Quellen, auf die sie Zugriff haben. Bings breiter Ansatz, möglichst das ganze Web miteinzubeziehen, scheint auf den ersten Blick besser zu sein.

Es gibt jedoch eine Kehrseite: Zu Fragen, bei denen nur wenige oder lückenhafte Informationen vorliegen, liefert Bing problematische bis komplett falsche Auskünfte. Das zeigt sich exemplarisch bei der Recherche nach Personen, zu denen es keine Wikipedia-Seite gibt. In einem Test habe ich Bing zu meiner Grossmutter und mir befragt.

Bing kann nicht mit Wissenslücken umgehen: Ist die Person noch am Leben? Zweites Problem: Die Altersangabe stammt aus einem Artikel von 2013 und müsste im Jahr 2023 entsprechend nachgetragen werden.
Alle Fotos: schü (Screenshots)

Abseits von Wikipedia wird die Informationslage dünn: Im Fall des Autors hat es Bing geschafft, in einem kurzen Abschnitt neuneinhalb Fehler unterzubringen.

Das Resultat war erstens pietätlos und zweitens haarsträubend. Bei meiner Grossmutter hat die Bing-KI nicht realisiert, dass sie anhand der Informationen im Netz nicht beurteilen kann, ob sie noch am Leben ist: Bing berichtet von ihr als lebender Person, obwohl sie 2018 gestorben ist. Und was mich angeht, hat der Chatbot die Meisterleistung vollbracht, in sieben Sätzen neun Fehler unterzubringen.

Im Vergleich dazu brilliert Duck Assist: Zu meiner Familie und mir bleibt er stumm.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 16. März 2023

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