Erfolgsgeschichte von «Wordle»

Wie ein virales Internetphänomen entsteht

Ein simples Buchstabenrätsel wird zum Hit auf dem Handy und zu einem eigenen Genre. Innert Wochen erscheinen Dutzende Varianten – auch eine, bei der englische Flüche gesucht sind.

Matthias Schüssler

Sechs Versuche, um ein Wort mit fünf Buchstaben zu erraten – das ist das «Wordle»-Rätsel, das bei der «New York Times» den gleichen Stellenwert hat wie das legendäre Kreuzworträtsel.

Man könnte meinen, dass ohne Facebook, Google und Amazon im Web nichts mehr geht. Doch es gibt sie noch – die Internetphänomene, die aus dem Nichts kommen und riesige Wellen schlagen. «Wordle» ist so ein Fall: Das ist ein Rätsel, bei dem es ein Wort aus fünf Buchstaben zu erraten gilt. Nachdem Sie Ihren Tipp abgegeben haben, werden im Lösungswort vorhandene Buchstaben gelb markiert. Wenn ein Buchstabe auch an der korrekten Position steht, wird er grün unterlegt. Um den Begriff herauszufinden, haben Sie sechs Versuche.

Der Erfinder von «Wordle» ist der Softwareentwickler Josh Wardle. Er hat es Anfang 2021 veröffentlicht, und nach knapp einem Jahr kam der Erfolg. Wardle hat eine simple Methode eingebaut, mit der sich die Resultate über die sozialen Medien teilen lassen. Auf diese Weise ging «Wordle» viral: Allein in den ersten beiden Januarwochen 2022 wurden auf Twitter 1,2 Millionen Resultate geteilt, und die Nutzerzahl stieg auf zwei Millionen Spieler täglich.

Und obwohl «Wordle» völlig kostenlos ist, ging Josh Wardle nicht leer aus: Im Februar kaufte die «New York Times» seine Kreation für eine, Zitat, «niedrige siebenstellige Summe».

Eine Studentin hat im Mai 2022 bei der Feier zu ihrem Universitätsabschluss eine «Wordle»-Partie auf ihren Doktorhut geklebt.

Die drei Erfolgsfaktoren

«Wordle» zeigt, was es für ein Internetphänomen braucht: eine simple und packende Spielidee und die sozialen Medien als Multiplikator. Doch es kommt ein dritter Faktor dazu: Wardle hat keinerlei Schutzmechanismen in sein Spiel eingebaut, der ganze Code steckt in einer einzigen Webseite (bzw. im eingebundenen JavaScript). Das öffnet Nachahmern Tür und Tor: Jeder, der mag, kann für sich oder für Freunde eine eigene Variante anfertigen.

Genau das ist passiert. Es gibt inzwischen unzählige Sprachvarianten. Das ursprünglich englische Worträtsel existiert längst auch auf Deutsch (und Österreichisch), Französisch, Italienisch und Spanisch. Oder in fast jeder anderen Sprache – wie Google beweist.

Von «Queerdle» über «Jewdle» bis «Lewdle»

«Wordle» wurde aber nicht nur für andere Sprachen adaptiert. In den letzten Monaten sind Dutzende Abwandlungen für spezielle Vorlieben entstanden: Auf «Dordle» muss man zwei Wörter parallel erraten, was aber erst der Anfang ist. Es gibt auch «Quordle» mit vier, «Octordle» mit acht und «Sedecordle» mit 16 Wörtern aufs Mal. Das ist nichts für schwache Nerven.

Bei «Lordle of the Rings» gilt es, fundierte Kenntnisse über Mittelerde und J.R.R. Tolkien unter Beweis zu stellen. «Star Wars»-Fans messen sich bei «Star Wordle». Unter «Queerdle» sind Begriffe aus der LGBTQ-Community gefordert und bei «Jewdle» Wörter in Hebräisch und Jiddisch.

Für rote Köpfe sorgt «Lewdle»: Hier werden englischsprachige Gossenwörter von milde anstössig bis grob vulgär abgefragt. Auch das ein riesiger Erfolg. «Eine Million Spieler in neun Tagen», twitterte sein Erfinder: «Ich bin von jedem Einzelnen von euch enttäuscht.»

Wer Zahlen den Buchstaben vorzieht, der vergnügt sich bei «Primel» mit dem Erraten von fünfstelligen Primzahlen und mit «Nerdle» mit Kopfrechnen. Dort müssen achtstellige mathematische Terme wie 9*20=180 erraten werden, die aus Zahlen und Operatoren bestehen – und natürlich das richtige Resultat ergeben.

Wo bleibt «Wordle» in Rumantsch?

Sollten Sie an dieser Stelle zum Schluss kommen, dass damit noch nicht allen Bedürfnissen Genüge getan ist, dann sind Sie herzlich eingeladen, eine eigene Version zu kreieren. Das ist einfach möglich und erfordert noch nicht einmal Programmierkenntnisse: Sichern Sie die «Wordle»-Website im Browser, indem Sie die Tastenkombination «Ctrl» + «s» betätigen. In der Kopie auf Ihrer Festplatte finden Sie in einem Unterordner die Datei «main.js». Sie enthält nicht nur den Programmcode, sondern auch alle Lösungswörter. Diese Datei öffnen Sie in einem Texteditor und scrollen in die untere Hälfte. Dort tauschen Sie die englischen Lösungswörter nach Belieben aus.

Tipp: Eine «Wordle»-Fassung für Schweizerdeutsch mit Wörtern in Ostschwizertütsch, Züritüütsch, Baseldytsch und Bärndütsch gibt es schon unter sgwordle.vercel.app. Was jedoch bislang fehlt, ist die Variante in Rätoromanisch …

Ein Nachtrag: Zwei Leserinnen weisen darauf hin, dass eine Wordle-Version für Sursilvan existiert. Sie ist unter plaidin.ugsagogn.ch zu finden. Danke für diesen Hinweis!

Falls Sie eine eigene «Wordle»-Version entwickeln, teilen Sie uns das per E-Mail an matthias.schuessler@tamedia.ch mit: Falls ein paar originelle Varianten zusammenkommen, stellen wir die gern an dieser Stelle vor.

Quelle: Newsnetz, Donnerstag, 16. Juni 2022

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