Zu verführerisch

Von Matthias Schüssler

Das Internet ist eine rechtsfreie Zone, das Musik-Tauschprogramm Napster beweist es einmal mehr: Ohne sich um Urheberrechte zu kümmern, laden Hunderttausende von Schmarotzern Musik aus dem Internet herunter, brennen diese auf CD und lachen sich ob der gesparten Franken ins Fäustchen.

Sind wirklich so viele Surfer verkappte Kleinkriminelle, die sich nur nicht getrauen, eine CD im Laden zu klauen? Ist verbrecherische Energie die richtige Erklärung für den Erfolg von CD-Brennern, Napster und MP3? Ein anderer Erklärungsansatz: Die Möglichkeiten, die der globale Musiktausch eröffnet, sind zu verführerisch, um es nicht zu tun. Da findet man im Internet Songs, die man schon ewig in guter Qualität auf CD haben wollte, doch im Plattenladen vergeblich suchte. Man lädt sich gezielt das Stück herunter, das nie als Single veröffentlicht wurde und den Kauf des ganzen Albums nicht rechtfertigt. Und man kann Songs nach Lust und Laune zu kruden Mixes kombinieren, die keine Plattenfirma jemals veröffentlichen würde.

Viele MP3-Freaks sind sich bewusst, dass sie Illegales tun und berechtigte Ansprüche verletzen. Sie machen es dennoch, nicht weil sie ein paar Franken sparen möchten, sondern weil kein gleichwertiges legales Angebot existiert. Gäbe es die Möglichkeit, Musik ebenso flexibel und legal per Internet zu kaufen, ein ganz grosser Anteil der Napster-User würde davon profitieren. Ein offizielles «Music on demand»-Angebot wäre zuverlässiger und schneller als eine wackelige Napster-Verbindung. Und, ganz wichtig: Niemand würde um sein Geld geprellt.

Daher zielen die aktuellen Überlegungen der Musikbranche in eine gute Richtung: Sowohl ein Urheberrechts-Aufschlag für Rohlinge als auch ein offizieller Vertrieb übers Internet tragen den Bedürfnissen Rechnung, die aus dem technisch Machbaren erwachsen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 15. Mai 2000

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Thema: Monitor
Nr: 470
Ausgabe: 00-515
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