Rickenbach: 1. Mai-Kundgebung nach FDP-Art – am Apéro sprach Gerold Bührer

«Wir wissen, wie die aktuellen Probleme zu lösen sind»

Die Rickenbacher FDP will den ersten Mai nicht kampflos den Linksparteien überlassen. Dieses Jahr war es der Schaffhauser Nationalrat Gerold Bührer, der den Arbeiterparolen entgegentrat und selbstbewusst das liberale Fähnchen schwenkte. Seine Antwort auf die Frage «Welt im Wandel – wo steht die Schweiz?»: Die Probleme ist ernst, doch mit freisinnigen Werten zu bewältigen.

(msc) «Viele Leute haben geschmunzelt, als als ich erzählt habe, dass ich am ersten Mai spreche», sagte Bührer zur Eröffnung seines Referats und er schmunzelte selber. «Ich habe aber den roten Kittel zu Hause gelassen.» Der hätte ihm auch nicht gestanden; Bührers Vortrag war ein Bekenntnis zu urliberalen Werten – Werte, von denen der Schaffhauser Nationalrat überzeugt ist, sie seien «der Werkzeugkasten, um die Probleme zu lösen!» Am Leistungsprinzip, das den Tüchtigen belohne, sei nichts Falsches. Wirtschaftliches Wachstum mache Sinn und Tugenden wie Eigenverantwortung und freier Wettbewerb dürften nicht verteufelt werden.

Verschärfter Wettbewerb

Doch wo ortete Bührer die brennendsten Probleme, welche die Schweiz Mitte der neunziger Jahre drücken? Ganz klar im wirtschaftlichen Umfeld. «Die Liberalen erachten den Wandel als so natürlich wie die Luft zum Atmen», sagte er. Doch die Geschwindigkeit des Wandels erschreckt und hat die Lage der Schweiz in Europa und der Welt verändert – die Schweiz ist kein geschütztes Gärtchen mehr. Die rasante Öffnung der Märkte – von der FDP befürwortet – hat eine enorme Mobilität des Kapitals, der Arbeitskräfte und der Standorte zur Folge, der Wettbewerb findet unter verschärften Bedingungen statt.

«Eurosklerose»

Die Schweiz ist davon ebenso betroffen, wie die anderen Länder Europas, sie hat sich in den Bereichen Steuerbelastung, öffentliche Finanzen und Wirtschaftswachstum dem europäischen Schnitt angenähert. «Europa insgesamt geht es schlecht, Europa leidet an ‹Eurosklerose›, einer Lähmung durch hausgemachte Probleme», beschrieb der FDP-Parlamentarier die Lage und nannte folgende Gründe dafür: Es habe sich während den fetten Jahren eine Wohlstandsübersättigung, ja Wohlstandsverwahrlosung breitgemacht, beklagte Bührer. Man gebe sich damit zufrieden, das Erreichte zu verteidigen, die Risikobereitschaft sinke und es fänden keine Innovationen mehr statt. Doch auch der Staat verhindere Investitionen durche eine extreme Reglementierungsdichte – beispielsweise würden Bauvorhaben unnötig verzögert und verteuert. Auch der Sozialstaat ist laut Bührer mitschuldig an der «Eurosklerose». Denn «Eine Fiskalquote von über 50 Prozent fördert die Arbeitslosigkeit», davon ist der Finanzpolitiker überzeugt. «In England hat die Eiserne Lady mit eisernem Besen gekehrt», sagte Gerold Bührer, der zu Amtszeit von Margreth Thatcher in London studierte, «doch heute hat England eine Steuerquote von 30 Prozent und weniger Arbeitslose als beispielsweise Deutschland, wo über 50 Prozent des Lohns an den Staat gehen.»

Die Rezepte der FDP

Sieben Gebiete führte der FDP-Parlamentarier an, wo Verbesserungen Europa und der Schweiz den Aufschwung bringen sollen. An erster Stelle steht beim finanzpolitischen Sprecher der FDP die Sanierung der öffentlichen Finanzen; es gelte, sechs bis acht Milliarden Franken einzusparen: «Das ist möglich – aber nicht mit Business as usual. Der Bund muss handeln wie ein Unternehmer, dem das Wasser am Hals steht!». Die Regelungsdichte müsse verringert und die Märkte gestärkt werden. Die Sozialpolitik sei bedürfnisgerechter zu gestalten, die Umverteilung habe zielgerichteter zu erfolgen. Auftrag der Bildungspolitik sei es, die Verbindung zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft zu verbessern. Auch Privatisierungen ist Thatcher-Bewunderer Bührer nicht abgeneigt: «Wie das Beispiel von der Mittelthurgau-Bahn zeigt, sind Privatbetriebe oft günstiger als Staatsbetriebe.» Private könnten auch Altersheime betreiben oder andere soziale Dienstleistungen erbringen. Und in Sachen Europapolitik sprach sich Bührer dafür aus, die «bilateralen Verhandlungen pragmatisch zum Erfolg zu führen.» Ohne mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, aber auch ohne beim kleinsten Zugeständnis mit dem Referendum zu drohen.

«Es werden heute bestimmt viele ‹Wunderrezepte› und viele Sündenböcke präsentiert», sagte Gerold Bührer und nahm zum Abschluss seines Referats nochmals bezug zum «Tag der Arbeit» und ergänzte seine Warnung vor den seines Erachtens untauglichen Lösungsvorschlägen der Linksparteien mit einem Blick in die andere Richtung und ein wenig Selbstkritik: «Wir haben die Werte nationaler Identifikation Politikern rechts von uns überlassen!» Dieses Defizit sei zu beheben und neben die «die Klarheit der Aussage muss gleichberechtigt die Emotionalität der Politik treten!» strich Bührer heraus und löste diesen Anspruch auch gleich ein: «Wir werden offensiv, geistig gestärkt und mit geradem Rückgrat in die Zukunft gehen!» Doch schon mit der Frage eines Anwesenden forderte die Realpolitik wieder ihr Recht: Ein Anwesender fragte, wie er denn bei «dem Hickhack in Bern» überhaupt die eigene Position durchsetzen wolle. Dazu sei ein Zusammenraufen der bürgerlichen Parteien unumgänglich – ohne Schulterschluss der FDP mit der SVP und «den vernünftigen Teilen der CVP» seien keine Mehrheiten zu gewinnen, schloss Bührer.

Quelle: Der Landbote, Freitag, 3. Mai 1996

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Thema: FDP-Apéro
Nr: 90
Ausgabe: 96-101
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