Kampf in der Datenwolke

Google vs. Microsoft

Falls sich Google durchsetzt, könnte die Wolke das Ende der Dominanz von Windows und Office bedeuten.

Von Matthias Schüssler

Google propagiert für 2011 die «echte Wolke» oder «100 Prozent Web», wie Verkaufsleiterin Petra Sonnenberg das ausdrückt. Unternehmen brauchen demnach keine eigenen Server und Anwendungsprogramme mehr und sind so nicht mehr über langjährige Investitionen an einen Hersteller gebunden.

In den USA laufen Pilotprojekte, bei denen Firmen ihre Mitarbeiter statt mit Personal Computern mit günstigen Netbooks ausrüsten, auf denen Googles Chrome-Betriebssystem installiert ist. Es besteht aus nicht viel mehr als aus einem Webbrowser, mit dem man auf Google-Apps zugreift. Alle Daten werden in Googles Cloud gespeichert, nicht auf dem lokalen Rechner. So ein Netbook verursacht «geringere Betriebskosten als ein traditioneller PC», wie Jesper Ritsmer Stormholt von Google sagt.

Die grösste Softwarefirma der Welt sieht das etwas anders. Microsoft ist mit der Vision «Ein Windows-PC auf jedem Desktop» gross geworden und will dem Personal Computer so schnell nicht den Rücken kehren. Für Anwender soll sich, Cloud hin oder her, nichts ändern. Sie sollen weiterhin so mit Office und Windows arbeiten, wie sie es schon längst tun und gewohnt sind. Kontinuität ist Microsofts grosser Trumpf, und als «Cloud-Bonus» eröffnet man den Nutzern die Möglichkeit, auch via Mobiltelefon auf ihre Daten zuzugreifen.

Microsofts Cloud-Konzept zielt ebenfalls auf Unternehmen und lässt sich unter dem Schlagwort «Informatik aus der Steckdose» subsumieren. Vom kleinen KMU bis zum Grosskonzern müssen sie Server und Informatikinfrastruktur nicht mehr selbst betreiben, sondern lagern sie an Microsoft aus. Das soll Kosten sparen und eine grössere Zuverlässigkeit bringen.

Christian Mehrtens, Verantwortlicher für Business und Marketing bei Microsoft Schweiz, vergleicht diesen Wechsel mit den Anfängen der Industrialisierung. Damals hätten Industriebetriebe ihre eigenen Kraftwerke zur Stromerzeugung gebaut. Heute beziehen alle die Energie aus dem zentralen Netz. So soll das künftig auch mit der Dokumentverwaltung, E-Mails und dem Datenaustausch gehandhabt werden.

Das Konzept nennt sich auch «Software as a service»: Man abonniert sich Software als Dienstleitung, statt Programme und Server zu kaufen und selbst zu betreiben. Software, die auf dem eigenen Grundstück läuft, wird entsprechend auch als «on-premises» bezeichnet. Um diese Dienste anzubieten, baut Microsoft derzeit in der ganzen Welt Rechenzentren auf, unter anderem auch in der Nähe von Amsterdam.

Die Cloud hilft, Kosten zu sparen, bringt eine «höhere Verfügbarkeit» der Daten und ermöglicht den mobilen Zugriff – in diesen Punkten sind sich Google und Microsoft einig. Der grosse Unterschied liegt auf der Anwenderseite. Bei Google müssen sich die Nutzer an neue Programme gewöhnen – die einfach gestrickten Google-Apps. Bei Microsoft soll für den Anwender alles beim Alten bleiben. Was auch bedeutet, dass sich an der (riesigen) Komplexität der Software nichts ändert. Microsofts Stärke ist laut Mehrtens der «schmerzlose Übergang zur Cloud», massgeschneidert auf die Kundenbedürfnisse. On-Premises-Programme können bei Microsoft problemlos in Mischlösungen mit Cloud-Diensten kombiniert werden. Bei «anderen Anbietern» – gemeint ist Google – müssen alle Daten ins Internet verfrachtet werden.

Microsoft wagt auf diese Weise den Spagat zwischen altem Businessmodell und neuem Paradigma. Office gibt es mit den werbefinanzierten «Web Apps» auch ein bisschen im Internet und bei Facebook – aber nur so viel, dass die Kaufversion der Bürosoftware nicht gefährdet ist. Dieser Weg kommt jenen Unternehmen entgegen, die Schulungsaufwand fürs Personal und Brüche bei ihrer Informatikstrategie scheuen. Bei jungen Firmen und Start-ups wirkt das wenig innovativ und ein wenig dinosaurierhaft.

Die Cloud ist unausweichlich. Es wird sich aber zeigen müssen, wie weit sich die «reine Cloud» à la Google durchsetzt oder ob die Datenwolke in der Windows- und Office-Welt verankert bleibt.

Quelle: Tages-Anzeiger, Donnerstag, 5. Mai 2011

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