Ein Office, frisch gestrichen

Office XP ist da: Microsoft tritt mit der überarbeiteten Programmsammlung an, dem Büroarbeiter ein Erlebnis zu bieten.

Von Matthias Schüssler

Nicht bloss Software möchte Microsoft verkaufen, nein, sondern Spannung, Emotionen und ein Lebensgefühl. «XP» ist Microsofts Schlachtruf auf dieser eben gestarteten Mission: Das Kürzel steht für «Experience» (Erlebnis, Erfahrung). Die nächste Windows- und Office-Generation wird es, nachdem Jahreszahlen von 2000 oder höher ihren mystischen Glanz verloren haben, im Namen tragen.

Dank Microsoft wird die Schreibstube zum Erlebnispark und das Verfassen von Briefen oder Addieren von Zahlen zur beglückenden Erfahrung – dass Microsoft dem Benutzer derlei verspricht, zeugt von dem fundamentalen Problem, das Microsoft mit seiner Bürosoftware hat: Das Dumme an Excel, Winword, Powerpoint und Access ist, dass ihnen kaum mehr Funktionen fehlen. Die Programme leisten das, was man von ihnen erwartet und noch viel mehr – wenn nicht, dann hat der Benutzer den passenden Befehl übersehen. Wenn Office XP sich gut verkaufen soll – und Office XP soll sich gut verkaufen! -, dann bringt eine lange Liste an neuen Funktionen rein gar nichts.

Die Büroklammer setzt Rost an

Stattdessen setzt Microsoft auf Oberflächlichkeiten, wie ein sanft renoviertes Erscheinungsbild. Zugegebenermassen haben die Entwickler gute Arbeit geleistet: Office sieht mit jeder Version besser aus. Zum Zweiten steht die Bedienbarkeit im Zentrum. Die wichtigsten Neuerungen von Office XP zielen darauf ab, dem Benutzer bei seiner Arbeit zu helfen und ihn sanft an die Möglichkeiten der Software heranzuführen. Auch das probiert Microsoft nicht zum ersten Mal: Karl Klammer, der hüpfende Papierclip, sollte bisher als Coach fungieren. Ihn erlebten viele Benutzer als Nervensäge, der mit stereotypen Ratschlägen die Arbeit störte. Karl Klammer und seine Kumpane sind in Office XP standardmässig abgeschaltet. An ihre Stelle treten so genannte Smart Tags: Bei diversen Aktionen manifestieren sie sich als kleine Symbole in der Arbeitsfläche: Klickt man sie an, erscheinen Befehle, die der Benutzer für seine Tätigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach gut gebrauchen kann. Ist eine in Excel eingegebene Formel falsch, dann hält das kluge Etikett Möglichkeiten zur Fehlerbehebung bereit. Der Vorteil der Smart Tags ist, dass sie auch ignoriert werden können und direkter nützen als die geschwätzige Büroklammer.

Das zweite Novum ist der Arbeitsbereich (Task Pane): Es handelt sich dabei um eine Werkzeugpalette, die aufgabenbezogen Funktionen feilbietet. Nach dem Aufstarten von Winword beispielsweise darf man im freischwebenden oder neben dem Dokumentenfenster angedockten Fenster wählen, ob man ein bestehendes Dokument bearbeiten, ein neues eröffnen oder eine bestimmte Vorlage verwenden will. Wer gern mit Formatvorlagen arbeitet, wird den entsprechenden Arbeitsbereich zu schätzen wissen. Auch im Zusammenhang mit der Office-weiten Zwischenablage macht die Neuerung Sinn: Diese wurde mit der letzten Version eingeführt und kann mehrere Dateiauszüge speichern (in Office XP bis 24 Schnipsel): Doch erst jetzt lässt sich diese Funktion sinnvoll nutzen, da der Arbeitsbereich zu jedem Auszug eine Vorschau zeigt.

Lotus: Schon 1996 so smart

Microsoft hätte den Arbeitsbereich für noch mehr Aufgaben einsetzen dürfen. Auch die Absatzformatierung wäre statt in einem modalen (d. h. alle anderen Funktionen sperrenden) Dialogfeld im Arbeitsbereich besser aufgehoben. Lotus hat eine ähnliche Idee schon in der «SmartSuite 96» aufgegriffen und damals auch das Suchen/Ersetzen als flexible Werkzeugpalette realisiert.

Als Reaktion auf das ILOVEYOU-Virus vom letzten Jahr ist Outlook restriktiver, was den Zugriff auf das Adressbuch angeht: Wenn ein Script versucht, automatisch Nachrichten an die gespeicherten E-Mail-Adressen zu senden, erhält der Benutzer eine Warnung. Als zweite Massnahme zur Verbesserung der Sicherheit filtert die Office-Mailzentrale ausführbare Programme aus Nachrichtenanhängen aus.

Die anderen Office-Programme bringen zusätzliche Funktionen für die Teamarbeit mit. Positiv ist weiterhin, dass Winword mit Hilfe der Wörterbücher für die Rechtschreibung jetzt Wort-für-Wort-Übersetzung, beispielsweise von Deutsch nach Englisch, durchführen kann. Für das Übertragen ganzer Textpassagen lässt sich ein Web-Dienst nützen: Hier zeigt Microsofts Dot.net-Strategie erste konkrete Blüten.

Ein neues Feature, welches Microsoft jedoch in eigenem Interesse eingebaut hat, ist die Aktivierung: Office XP muss nach dem Kauf über das Internet oder per Telefon freigeschaltet werden, ansonsten lässt es sich nach fünfzig Programmstarts nicht mehr nutzen.

Office als Shareware

Diese Funktion soll die Softwarepiraterie eindämmen. Immerhin kann der Kunde sein Paket zweimal aktivieren, beispielsweise einmal für den Heim-Computer und einmal fürs Laptop. Hat man seinen Computer neu installiert und ist deswegen gezwungen, die Software ein drittes Mal freizuschalten, bleibt einem ein Anruf bei Microsoft nicht erspart. Trotz zu befürchtender Komplikationen rechnet der Product Manager von Microsoft Schweiz, Urs Müller, nicht mit Protest der Konsumenten. Die Aktivierung sei in einigen Ländern bereits mit Office 2000 getestet worden und hätte keine abschreckende Wirkung gezeigt. Immerhin räumt Müller ein, dass die Aktivierung vermutlich nicht eingeführt worden wäre, wenn Microsoft die Konkurrenz dicht im Nacken spüren würde. Davon kann keine Rede sein: Zwar hat Corel eben WordPerfect Office 2002 zum Markt gebracht, und auch das Projekt der kostenlosen Bürosoftware OpenOffice.org macht gute Fortschritte. Gleichwohl beziffert Müller den Marktanteil der Mitbewerber in der Schweiz mit einer «einstelligen Prozentzahl» und sieht deren Produkte nicht als Gefahr.

Keine Rede von Spracherkennung

Die Neuerungen in Office XP entspringen einem einleuchtenden Konzept und sind gut gelungen. Viele Beobachter haben jedoch mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen, dass die angekündigte Spracherkennung vorerst nur in der US-amerikanischen Version enthalten ist. Ob und wann auch Käufer hier zu Lande Version Office ohne Tastatur benützen dürfen, ist offen. Die nicht bloss angekündigten, sondern schliesslich realisierten Neuerungen sind nicht bahnbrechend. Microsoft hat erfreulicherweise darauf verzichtet, ein neues Dateiformat einzuführen. Daher fällt der Zwang weg, nachzuziehen, weil Arbeitskollegen upgedatet haben und deren Dokumente nicht mehr geöffnet werden können. Wer sich mit seinen Büroprogrammen auskennt und mit ihrer Hilfe seine Aufgaben leidlich erfüllt, darf auf das XP-Erlebnis verzichten – ohne Angst zu haben, etwas zu verpassen.

MS Office XP in 4 Versionen: Standard, Professional, Special und Developer (Update ab 498 Franken, Vollversion ab 1098 Franken). Infos: www.officexp.ch

«Juhu, Office XP ist fertig!»: Microsoft-CEO Steve Ballmer an der Released-to-Manufacturing-Party (unten). Rechts oben: Winword mit den neuen Smart Tags und dem Arbeitsbereich.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 28. Mai 2001

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Nr: 3551
Ausgabe: 01-528
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