Ungleichheit auf Social Media

Wie Elon Musk sich auf Twitter die Promis gefügig macht

Während normale User für den Verifizierungs­haken zahlen müssen, erhalten ihn reichweitenstarke Accounts geschenkt. Ein Lehrstück in angewandter Bestechung.

Matthias Schüssler

Wer für Twitter bezahlt, wird angefeindet – wer prominent ist, kommt gratis weg.

Der Twitter-Chef hat seine Drohung wahrgemacht und das Verifizierungssystem auf den Kopf gestellt. Elon Musk hat den Anwenderinnen und Anwendern, die vor seiner Ägide kostenlos als echt bestätigt worden waren, das Häkchen hinter ihrem Namen entzogen. Seit letzter Woche braucht es für diese Bestätigung ein Twitter-Blue-Abo für sieben Franken im Monat.

Das hat eine beträchtliche Dynamik ausgelöst. Viele der bisher Verifizierten gaben sich betont ungerührt: «Weg mit dem Haken der Schande», twitterte Satiriker Jan Böhmermann. Und: «Endlich sind wir alle gleich und die Arschlöcher wieder gut zu erkennen.» Das heisst: Wer sich jetzt mit einem entsprechenden Haken in die Twitter-Öffentlichkeit wagt, muss mit Anfeindungen rechnen. Denn in der Wahrnehmung vieler Nutzerinnen und Nutzer gehört er zu denen, die Musks neues, umstrittenes Regime unterstützen. Er ist auch Teil einer selbsternannten Elite, die sich für Geld Extra-Gehör verschaffen will: Zu Twitter-Blue gehört nämlich auch eine Vorzugsbehandlung. Umgekehrt verlieren Leute ohne Abo an Reichweite.

Zahlungswillige Nutzerinnen und Nutzer müssen sich rechtfertigen. Etwa Viktor Giacobbo, der auf die Kritik eines Journalisten vom «Blick» entgegnete: «Bei mir ist es praktisch, weil ein Tweet korrigiert werden kann und Fake-Accounts schnell gesperrt werden. Und ich bezahle für dümmere Apps horrende 7 Franken im Monat und ein mehrfaches für Bezahlmedien.» Es setzt aber auch jede Menge ätzenden Spott, teilweise originelle Memes sowie die Forderung #BlockTheBlue – also die Mitglieder von Elon Musks Bezahl-Club gleich zu blockieren.

Damit ist der Gipfel der Absurdität noch nicht erreicht: Es gibt Promis, die die regelrecht darum bettelten, ihren Haken behalten zu dürfen. Einer davon ist Schauspieler Charlie Sheen, der in Anspielung auf den gescheiterten Raketenstart am letzten Samstag twitterte, es täte ihm leid, dass Musks tolle Rakete explodiert sei, aber er würde sicher eine neue bauen, die noch grösser sei und noch besser explodiere: «Und kann ich jetzt bitte meinen blauen Haken zurückhaben? Es würde mir sehr viel bedeuten.»

«Gern geschehen, namaste»

Andere prominente und reichweitenstarke Twitterer beobachteten, dass ihr Haken nicht verschwunden ist. Horror-Autor und Elon-Musk-Kritiker Stephen King legte Wert auf die Feststellung, dass er Twitter Blue nicht abonniert habe, obwohl das dort stehen würde. Woraufhin Musk antwortete: «Gern geschehen, namaste.»

Damit Twitter Blue nicht zu einem völligen Reinfall wird, hat Musk einigen der Schwergewichte auf seiner Plattform das Abo kostenlos gegeben: Nebst King gehören auch Basketballspieler LeBron James und Star-Trek-Legende William Shatner zu den Beschenkten. Und am letzten Sonntag wurde bekannt, dass alle Accounts mit einer Gefolgschaft von einer Million Leute oder mehr Twitter Blue kostenlos erhalten, wenngleich nicht bei allen das Verifizierungs-Häkchen erscheint.

«Rockstar-Move, mein guter Herr»

Dieses Geschenk kommt nicht überall gut an – weil es als generelle Zustimmung zu Musk und seinem Führungsstil bei Twitter gewertet werden kann. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hielt es für nötig, festzuhalten, dass es Twitter Blue nicht abonniert habe, was wiederum zu Zehntausenden von Reaktionen führte. Schauspieler Charlie Sheen seinerseits ist voller kindlicher Freude über Musks kleines Präsent. Auch er hat mit zehn Millionen Followern den Haken gratis bekommen: «Das ist wie Weihnachten und Geburtstag auf einmal! Ich erröte vor Dankbarkeit: Rockstar-Move, mein guter Herr.»

Das heisst: Die prominenten Nutzer profitieren, ohne den #BlockTheBlue-Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Sogar Stephen King wirkte bei seinen letzten Tweets ungewohnt versöhnlich. Ohne Zweifel: Das war ein Geniestreich des Twitter-Chefs. Und auch wir, die wir von Musk nichts geschenkt bekommen haben, können uns glücklich schätzen: Wir dürfen nämlich in aller Öffentlichkeit miterleben, wie mit kleinen Zuwendungen ein Günstlingssystem geschaffen wird.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 25. April 2023

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