Schüssler

Wie sich das Internet zweckentfremden lässt

Auf die Idee muss man erst kommen: Youtube nicht als Videoplattform, sondern als Ablage für normale Daten zu verwenden. Youtube erlaubt es, gratis riesige Datenmengen zu speichern, denn Videos brauchen viel Platz. Das hat einen Entwickler auf die Idee gebracht, einen grossen Bestand an Dokumenten in ein Video zu verpacken und bei Youtube hochzuladen – als kostenlose Back-up-Methode. Wenn die Videos abgespielt werden, erscheint bloss ein Rauschen wie beim Sendeschluss im Fernsehen. Doch wenn die Videos heruntergeladen werden, lassen sich die Daten wieder auspacken.

Dieser «Hack» ist nicht trivial: Youtube stellt Videos nicht originalgetreu zur Verfügung, sondern optimiert sie. Dafür braucht es Puffer, sodass sich die Grösse etwa vervierfacht. Wers ausprobieren will, findet «Infinite-Storage-Glitch» von Dvorak Dwarf auf der Entwicklerplattform Github.

Software lässt sich auf wunderbare Weise zweckentfremden. Ein klassisches Beispiel ist «Excel Minesweeper», bei dem das aus Windows altbekannte Computerspiel in der Tabellenkalkulation nachgebaut wurde. Nutzerinnen und Nutzer sind oft kreativer als die Hersteller – und darum habe ich in meinem Social-Media-Umfeld eine Umfrage gestartet, wie sie ihre Apps und Websites gegen den Strich bürsten.

Eine grossartige Idee kommt von Kevin: Er zeigt, wie in einem Firmennetzwerk gechattet werden kann, wenn keine Chat-Software installiert ist. Dazu dient ein Ordner auf einem für alle freigegebenen Laufwerk, der von jedem, der etwas mitteilen will, entsprechend benannt wird. Also zum Beispiel: «Thomas_Um-9-Kaffee-in-der-Kantine». Peter weist auf die modernere Variante hin: Das ist eine Präsentation bei Google Slides, bei der jede Folie einem Chatroom entspricht, bei dem Schülerinnen und Schüler via Kommentare sich über diverse Themen unterhalten.

Kommunikations-Apps liefern Steilvorlagen. Fredy verwendet Threema als Notizbuch, indem er einen Gruppenchat eingerichtet hat, ohne ein Mitglied hinzuzufügen: Das, was er hier hineinschreibt, wird nicht verschickt, bleibt aber als Gedächtnisstütze erhalten. Es existiert eine fiesere Abart dieses Tricks, bei der der deutsche Bundesfinanzminister eine Rolle spielt: «Ich benutze seit zwei Wochen Christian Lindner als Einkaufsliste und kann das wirklich weiterempfehlen.» Das funktioniert so, dass die Einträge auf der Einkaufsliste in Instagram als Direktnachricht an den FDP-Politiker geschickt werden und in der App übersichtlich untereinander zu stehen kommen.

Oder Gmail als toter Briefkasten: Bei dieser Praktik verwenden Leute für klandestine Kommunikation ein E-Mail-Konto, für das alle Beteiligten die Zugangsdaten haben. Statt sich die Mails zuzusenden, werden sie als Entwürfe gespeichert. Dort können sie eingesehen und gelesen werden, ohne dass sie Datenspuren auf fremden Servern hinterlassen.

Ein weites Feld ist auch Kunst. Claudio verweist auf «Strava Art», wo Bilder mithilfe der Sport-App Strava «gezeichnet» werden, indem ein Lauf oder ein Spaziergang einer Route folgt, die via GPS aufgezeichnet ein Bild auf der Karte ergibt – zum Beispiel Darth Vader mit dem Laserschwert. Wer mitmachen will, findet auf Strav.art Tipps und Inspiration.

Auch Excel beherrscht neben den Zahlen auch das Malen. Der Champion in dieser Disziplin ist Tatsuo Horiuchi, der sich keine Malsoftware kaufen wollte und darum zur bereits vorhandenen Tabellenkalkulation griff. Und wie sich zeigt, sind die Zeichenwerkzeuge ausreichend für farbenprächtige Bilder.

Und Sie? Falls Sie eigene schöne Alltags-Hacks haben, schreiben Sie mir ein E-Mail an matthias.schuessler@tamedia.ch.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 2. April 2023

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