Analyse zu «Twitter Blue»-Abo

Wer nicht bezahlt, verliert an Einfluss

Elon Musk treibt die Zweiklassengesellschaft voran. Nutzerinnen und Nutzer ohne Abo verlieren wichtige Funktionen. Das ist nicht der «Wettbewerb der Ideen», den er uns versprochen hat.

Matthias Schüssler

Wer bezahlt, bekommt einen «Ranking Boost»: Twitters neues «Blue»-Abo.

«Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem über die Zukunft der Menschheit debattiert wird»: Das hat Elon Musk im April 2022 gesagt, als sich seine Pläne zur Übernahme des Kurznachrichtendienstes konkretisierten. Was Musk damals nicht gesagt hat: Wer auf diesem Marktplatz Gehör finden will, der muss bereit sein zu zahlen.

Musk hat in den letzten Monaten «Twitter Blue» ausgebaut: Das ist ein Abo, das für 7 Franken im Monat oder 73 Franken im Jahr einige Extrafunktionen bietet: Abonnenten können ihre Tweets nachträglich bearbeiten, längere Videos hochladen, und sie sehen weniger Werbung.

So weit, so unproblematisch. Allerdings hat Elon Musk im Bemühen, sein Abo möglichst vielen Leuten schmackhaft zu machen, auch bedenkliche Neuerungen durchgesetzt: Eine wichtige Sicherheitsfunktion gibt es nur noch gegen Geld: Wer sein Konto mit der Zweifaktorauthentifizierung per SMS schützen will, muss dafür die Monatsgebühr bezahlen; und nur noch «Twitter Blue»-Abonnenten können ihre Identität prüfen und über das blaue Häkchen bestätigen lassen. Nutzerinnen und Nutzer, die eine solche Authentifizierung besitzen, aber nicht bezahlen, werden ihre Kennzeichnung in den nächsten Wochen verlieren.

Angeblich eine «Massnahme zur Bekämpfung von Betrug und Spam».

In der «Für dich»-Ansicht sollen bald nur noch Abonnenten auftauchen

Mit «Twitter Blue» hat Elon Musk auf Twitter eine Zweiklassengesellschaft eingeführt: Bei Antworten, Suchen und in den Erwähnungen erscheinen die Abonnenten vor den Gratisnutzern. Und dieser Graben öffnet sich weiter: Heute hat Elon Musk angekündigt, dass in der «Für dich»-Übersicht ab dem 15. April überhaupt nur noch bezahlende Nutzerinnen und Nutzer auftauchen sollen.

Musk will auf diese Weise Bots abhalten, schreibt er als öffentliche Begründung. Das klingt nach einem ehrbaren Ziel, für das es aber keinesfalls ein Abo braucht. Um KI-getriebene Meinungsmache zu verhindern, müsste Twitter dafür sorgen, dass sich möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer authentifiziert lassen. Über eine einmalige Gebühr für die administrative Abwicklung liesse sich zumindest in reichen Industrieländern nachdenken.

Doch Elon Musk setzt in seiner Begründung implizit die Zahlungsbereitschaft mit guten Absichten gleich – und das ist grober Unfug. Der Milliardär setzt lediglich die Hürden so hoch, dass nur finanzkräftige Leute sich die Manipulation der öffentlichen Meinung leisten können. Mit «Twitter Blue» hat Elon Musk das Versprechen gebrochen, Twitter zu einem Marktplatz der Ideen zu machen. Denn wenn die Reichweite der zahlenden Abonnenten durch die Algorithmen verstärkt wird, dann setzen sich nicht die besten Ideen durch. Stattdessen erlaubt es Elon Musk den Reichen, alle jene zu übertönen, die sich die 7 Franken pro Monat nicht leisten können oder wollen.

Und klar: Elon Musk hat alles Recht der Welt, für Premium-Funktionen Geld zu verlangen – zumal der Wert von Twitter von 44 Milliarden zum Zeitpunkt der Übernahme auf 20 Milliarden gesunken ist, wie Musk in einer internen Mail mitgeteilt hat. Aber auf einem digitalen Marktplatz darf die Demokratie nicht verhandelbar sein – und jede Nutzerin, jeder Nutzer muss eine gleich laute Stimme haben.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 28. März 2023

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