Analyse zum Facebook-Konzern

Meta tüftelt an einem Twitter-Konkurrenten

Der Facebook-Mutterkonzern prüft die Lancierung eines eigenen Kurznachrichtendienstes. Das ist nicht nur als Kampfansage gegen Elon Musk zu verstehen, sondern richtet sich auch gegen das Mastodon-Netzwerk.

Matthias Schüssler

Gibt es bald noch eine Plattform von Meta, auf der sich dieses Selfie veröffentlichen lässt? Vor dem Hauptsitz des Konzerns in Menlo Park, Kalifornien.

Letzten Samstag hat Meta die Gerüchte bestätigt, wonach man an einem sozialen Netzwerk für den Austausch kurzer Textnachrichten arbeitet – also an einem direkten Konkurrenten für Twitter: «Wir glauben, dass ein Bedürfnis für einen Raum existiert, in dem Kreative und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zeitnahe Updates über ihre Interessen teilen können», hat ein Sprecher des Facebook-Mutterkonzerns gegenüber der britischen Nachrichten-Website «The Register» dargelegt.

Dieses Projekt, das gemäss der Meldung den Codenamen P92 trägt, ist eine direkte Kampfansage an Elon Musk: Offenbar schätzt Meta die Situation bei Twitter so prekär ein, dass eine direkte Alternative viele Nutzerinnen und Nutzer zum Umstieg bewegen könnte. In der Tat hat sich das Klima seit der Übernahme durch Elon Musk verschlechtert, und Twitter hat aufgrund der vielen Entlassungen auch immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen.

Wagt sich Meta ins Fediversum?

Zweitens tangiert P92 auch Mastodon und das Fediversum: Meta erwägt eine dezentrale Struktur für das neue Netzwerk. Dazu soll das ActivityPub-Protokoll zum Einsatz kommen. Es ist das Kernstück von Mastodon und dem Fediversum: Es erlaubt die Kommunikation und den Datenaustausch zwischen den einzelnen, unabhängigen Servern, die von Organisationen und Privaten betrieben werden.

Diese offene Funktionsweise macht Mastodon zu einem Gegenentwurf zu den klassischen sozialen Medien wie Facebook und Instagram: Statt bei einem zentralen Unternehmen bleiben die Daten im Besitz der Nutzerinnen und Nutzer; und es ist auch möglich, unterschiedliche Dienste zusammenzubringen. Daraus entsteht das grosse Ganze, das sogenannte Fediversum: In diesem digitalen Raum kann sich eine Nutzerin beim Kurznachrichtendienst Mastodon mit einem Mitglied der Bilderplattform Pixelfed verbinden und dessen Posts verfolgen – etwas, das bei den klassischen Plattformen undenkbar wäre.

Auch Donald Trump nutzt ActivityPub

Da es sich bei ActivityPub um ein offenes Protokoll handelt, steht es auch grossen Unternehmen frei, es einzusetzen: Das von Donald Trump gegründete Netzwerk Truthsocial basiert auf ActivityPub, wobei die Betreiber keinerlei Interaktion mit anderen Servern zulassen. Auch Facebook könnte es für seinen Twitter-Konkurrenten verwenden.

Auch Donald Trumps soziales Netzwerk Truthsocial basiert auf der offenen Technologie von ActivityPub.

Doch was wären die Auswirkungen? Für Meta ergäbe sich der Vorteil, dass P92 nicht bei null starten müsste, sondern sich in das kleine, aber rege genutzte Fediversum eingliedern könnte. Das Fediversum dürfte mit einem beträchtlichen Andrang rechnen – denn jene Nutzerinnen und Nutzer, denen die dezentrale Struktur suspekt war, würden via Meta so einfach und unkompliziert Zugang erhalten, wie sie es sich von Facebook und Instagram gewohnt sind.

Kann das gut gehen?

Das klingt nach einer Situation, in der Mastodon und Facebook zulasten von Twitter und Musk zulegen könnten. Ob das Fediversum auf Dauer profitieren würde, ist allerdings mehr als fraglich: Denn das Prinzip der Offenheit steht diametral zu Facebooks Dominanzbestrebungen. Es dürfte kaum lange dauern, bis Meta versuchen würde, das Fediversum nach seinem Gusto umzukrempeln – und ob dann noch viel von der ursprünglichen Vision übrig bleiben würde, ist offen.

Hingegen gibt es genügend Beweise, dass eine Koexistenz solcher gegensätzlicher Philosophien hervorragend funktionieren kann: Die Bewegung der freien Software ist ein Beleg dafür. Die grossen Techkonzerne, ob Google, Microsoft oder Apple, setzen allesamt solche Produkte ein und profitieren am meisten, wenn sie diese unabhängige Szene unterstützen, aber nicht vereinnahmen.

Mark Zuckerberg hat bislang keinen Ruf für faire Kooperationen, sondern neigt dazu, unliebsame Konkurrenten entweder zu schlucken oder zu kopieren. Darum zeigt P92 zum heutigen Zeitpunkt vor allem eines: Meta hat den Konkurrenten auf dem Schirm und ist bereit zu reagieren. Ob es sich um ein unverbindliches Experiment oder ein ernsthaftes Projekt handelt, ist derzeit offen.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 15. März 2023

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