Alle wollen sein wie Tiktok

Streaming Auch bei Spotify werden wir bald durch die Musik zappen, und Netflix hat Kurzclips eingeführt.

Tiktok hat die Techbranche beeindruckt: Die chinesische Video-App ist bei der jungen Generation so beliebt, dass viele der Konkurrenten versuchen, das Erfolgsrezept zu kopieren. Kurzvideos haben seitdem bei Instagram und Facebook Einzug gehalten, bei diesen beiden Apps von Meta heissen sie Reels. Google hat seine Videoplattform mit den Youtube Shorts ausgestattet.

Auch Netflix und Spotify haben sich von Tiktok inspirieren lassen. Beim Videostreamingdienst ist die Rubrik «Schnelle Lacher» dazugekommen. 2021 angekündigt, ist sie jetzt auch hierzulande in der iPhone- und der Android-App vorzufinden: Wie bei Tiktok erscheinen die Kurzclips im Hochformat, und eine Wischgeste nach oben führt zum nächsten Clip. Und es gibt die Möglichkeit, lustige Clips mit einem «Lol» zu versehen.

Anders als bei Tiktok stammen die Inhalte nicht von Nutzerinnen und Nutzern, sondern aus dem Fundus des Netflix-Katalogs. Es sind ein paar Sekunden lange Ausschnitte aus Filmen und Serien, die man sich ansehen oder auf seine Liste setzen kann. Allerdings bleibt fraglich, wie gut die oft oberflächlichen Gags als Auswahlkriterium taugen.

Nutzer bei der Stange halten

Spotify hat letzte Woche einen Umbau der App angekündigt: Die Startseite wird in drei Bereiche unterteilt. Diese «Feeds» decken die Bereiche Musik, Podcasts und Hörbücher ab. Sie werden als Videovorschau angezeigt und werden so lange durchgescrollt, bis etwas Passendes erscheint. Das soll es erleichtern, Inhalte zu entdecken.

Sie ist längst nicht überall auf Gegenliebe gestossen. Eine Autorin der Online-Newssite «Techradar» empfindet sie als Anbiederung an die junge Generation: Doch die werde keine «Boomer-Musik-App» nutzen, auch wenn sie auf Tiktok getrimmt ist: Die Generation Z würde sie mit einem Achselzucken abtun und «Spotify riskiert, die Leute zu verprellen, die den Musikdienst nutzen».

Das Techmedium «The Verge» unterstellt, Spotify sei bemüht, Nutzerinnen und Nutzer zu «profitableren Inhalten zu drängen». Damit ist das Podcast-Geschäft gemeint. Dort hat Spotify Hunderte Millionen Dollar investiert.

In den Feeds sollen auch Video-Inhalte zu sehen sein: Künstlerinnen und Künstler werden sich über die «Spotify-Clips» an ihre Fans richten können. Das sind sekundenlange Botschaften, in denen sie etwas über einen neuen Song oder ihre Tournee erzählen oder Merchandising feilbieten. Podcaster sollen ebenso direkt mit ihrem Publikum in Kontakt treten können.

Auch der dritte Feed namens «Hörbücher» lässt Rückschlüsse aufs Spotifys Pläne zu: Der Streamingdienst hat im Juli 2022 für 117 Millionen Euro Findaway.com gekauft, eine Produktions- und Vertriebsplattform für Hörbücher, deren Inhalte in die App einfliessen werden und zusätzliche Werbeeinnahmen generieren sollen. Ob die «Tiktokisierung» das erwartete Wachstum bringt, bleibt abzuwarten.

Matthias Schüssler

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 15. März 2023

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