Streaming

Alle wollen sein wie Tiktok

In der Spotify-App werden wir bald im Stil der Video-App durch die Musik zappen, und Netflix hat Kurzclips eingeführt.

Matthias Schüssler

Der neue Homescreen funktioniert nach dem Prinzip «Scrollen statt suchen».

Tiktok hat die Techbranche nachhaltig beeindruckt: Die chinesische Video-App ist bei der jungen Generation so beliebt, dass viele der Konkurrenten versuchen, das Erfolgsrezept zu kopieren. Die Kurzvideos haben seitdem bei Instagram und Facebook Einzug gehalten, bei diesen beiden Apps von Meta heissen sie Reels. Google hat seine Videoplattform mit den Youtube Shorts ausgestattet.

Auch Netflix und Spotify haben sich von Tiktok inspirieren lassen. Beim Videostreamingdienst ist die Rubrik «Schnelle Lacher» dazugekommen. 2021 angekündigt, ist sie seit kurzem auch hierzulande in der iPhone- und der Android-App vorzufinden: Wie bei Tiktok erscheinen die Kurzclips im Hochformat, und mit einer Wischgeste nach oben springen Zuschauerinnen zum nächsten Clip. Und es gibt die Möglichkeit, besonders lustige Clips mit einem «Lol» zu versehen.

Die «schnellen Lacher» bei Netflix erscheinen im Hochformat und werden mit einer Wischgeste beseitigt, falls sie nicht lustig sein sollten.

Anders als bei Tiktok stammen die Inhalte nicht von Nutzerinnen und Nutzern, sondern aus dem Fundus des Netflix-Katalogs. Es sind ein paar Sekunden lange Ausschnitte aus Filmen und Serien, die sich Nutzerinnen und Nutzer sogleich ansehen oder auf die Liste setzen können. Allerdings bleibt fraglich, wie gut die oft oberflächlichen Gags als Auswahlkriterium taugen.

Die Nutzer bei der Stange halten

Spotify hat letzte Woche einen weitreichenden Umbau seiner App angekündigt: Die Startseite wird in drei Bereiche unterteilt. Diese sogenannten Feeds decken die Bereiche Musik, Podcasts und Hörbücher ab. Sie werden als Videovorschau angezeigt und werden so lange durchgescrollt, bis etwas Passendes erscheint. Durch diese Neuerung will es der schwedische Streamingdienst der Anwenderschaft erleichtern, Inhalte zu entdecken.

Sie ist aber längst nicht überall auf Gegenliebe gestossen. Eine Autorin der Online-Newssite «Techradar» empfindet sie als Anbiederung an die junge Generation: Doch die werde keine «Boomer-Musik-App» nutzen, auch wenn sie auf Tiktok getrimmt ist: «Die Sache ist so durchschaubar lahm, dass die Generation Z sie mit einem Achselzucken abtut, wenn sie nicht sogar darüber lacht, und Spotify riskiert damit nur, die Leute zu verprellen, die den Musikdienst tatsächlich nutzen.»

Nutzer zu den profitablen Inhalten drängen

Diese Gefahr besteht in der Tat: Leute, die sich ihren Konsum nicht von einem Algorithmus vorschlagen lassen wollen, könnten den neuen Homescreen als ein Hindernis erleben, das ihnen den Weg zu ihrer bevorzugten Musik verstellt. Diese Kritik äussert das Techmedium «The Verge», und es unterstellt Spotify Eigeninteressen. Spotify sei unablässig darum bemüht, die Nutzerinnen und Nutzer zu «profitableren Inhalten zu drängen». Damit ist das Podcast-Geschäft gemeint. Dort hat Spotify in den letzten Jahren Hunderte Millionen Dollar investiert, weil es eine höhere Rendite verspricht.

Der Podcaster Joe Rogan ist seit 2020 bei Spotify unter Vertrag – der Streamingdienst hat sich diesen Deal 200 Millionen US-Dollar kosten lassen.

Unter dem Einfluss von Tiktok wandelt sich Spotify vom Musikplayer zur Video-App: In den Feeds sollen auch Video-Inhalte zu sehen sein: Künstlerinnen und Künstler werden sich über die «Spotify-Clips» an ihre Fans richten können. Das sind sekundenlange Botschaften, in denen sie etwas über einen neuen Song oder ihre Tournee erzählen oder Merchandising feilbieten. Auch Podcaster sollen auf diesem Weg eine Möglichkeit erhalten, direkt mit ihrem Publikum in Kontakt zu treten.

Hörbücher als drittes Standbein

Auch der dritte Feed namens «Hörbücher» lässt Rückschlüsse darauf zu, welche weiteren Ziele Spotify mit der Neugestaltung der App verfolgt: Der Streamingdienst hat im Juli 2022 für 117 Millionen Euro Findaway.com gekauft, eine Produktions- und Vertriebsplattform für Hörbücher, deren Inhalte in die App einfliessen werden und wie die Podcasts zusätzliche Werbeeinnahmen generieren sollen. Ob die «Tiktokisierung» das erwartete Wachstum bringt, bleibt abzuwarten.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 14. März 2023

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