KI als Konkurrenz für kleine Websites

Die Bots von Google und Microsoft bedrohen das Internet

Was wird aus den Millionen kleiner Websites, wenn Suchmaschinen nicht mehr als Vermittler fungieren, sondern Fragen direkt beantworten? Kritiker nennen das Content-Klau.

Matthias Schüssler

Microsoft-Mitarbeiter haben letzte Woche demonstriert, wie die Bing-Suchmaschine und auch der Edge-Browser mittels KI von OpenAI ausgerüstet werden.

«Bei der Suche im Web ist ein neuer Tag angebrochen.» Und so poetisch diese Worte von Microsoft-Chef Satya Nadella auch klingen: Es geht ums Geschäft und um die Vorherrschaft bei der Suche im Netz.

Letzte Woche hat Microsoft den «Co-Piloten fürs Web» vorgestellt. Er funktioniert mit künstlicher Intelligenz und bringt, davon ist Nadella überzeugt, einen Paradigmenwechsel: Statt wie bisher einige Suchbegriffe einzugeben und die Resultate zu prüfen, lassen Nutzerinnen und Nutzer sich von diesem Co-Piloten beraten. Er liefert nicht bloss eine Liste von Ergebnissen, sondern eine konkrete Antwort. Und die lässt sich mittels Nachfragen und Einschränkungen verfeinern.

Dieser Co-Pilot befindet sich in einer Testphase und kann bisher erst auf Einladung ausprobiert werden. Wie er funktionieren soll, zeigt Microsoft anhand einiger Beispiele. Eines bezieht sich auf eine Dinnerparty, bei der die Suchmaschine auf die Frage nach einem vegetarischen 3-Gänge-Menü Pilzcremesuppe mit Croûtons, Kürbisrisotto mit Salbei und Parmesan und einen Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern vorschlägt. Im Dialog fragt die Nutzerin oder der Nutzer dann nach Rezepten oder bringt in Erfahrung, was eine vegane Alternative für den Parmesan wäre.

Bing liefert gleich das ganze Abendprogramm.

Mit diesem neuen Suchparadigma steht auch Googles Rolle als Platzhirsch infrage. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNBC wagt sich Nadella auf die Frage, wie lange es denn «im Idealfall dauern werde, um Google zu entthronen», nicht auf die Äste hinaus. Seine Antwort lautet, dass jetzt die Gelegenheit gekommen sei, das Rad neu zu erfinden. Das lässt keinen Zweifel daran, dass Microsoft sich gute Chancen ausrechnet, den Konkurrenten vom Suchmaschinen-Thron zu stossen.

Der Optimismus ist nicht unbegründet. Google hat einen eigenen Chatbot vorgestellt, doch dessen Premiere gründlich vermasselt: Der Bot namens Bard hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt behauptet, das James-Webb-Weltraumteleskop habe das erste Bild eines Exoplaneten gemacht. Astronomen haben das als Fehler erkannt und für einen massiven Taucher des Google-Aktienkurses gesorgt.

«Wie lange wird im besten Fall dauern, bis Microsoft Google entthront?»
Video: CNBC

Allein diese neu entflammte Rivalität zwischen Microsoft und Google wird dafür sorgen, dass diese neue Form der Websuche schneller Einzug halten wird, als wir deren Auswirkungen abschätzen können. Wie Bard eindrücklich demonstriert hat, sind Fehlinformationen eine Gefahr: Denn während bei einer klassischen Websuche die Prüfung der Quellen eindeutig Sache des Nutzers ist, erwecken die Chatbots den Eindruck, allwissend zu sein. Wenn die Anwenderschaft allerdings sämtliche Informationen gegenprüfen muss, dann ist der Nutzen dahin – dann können wir bei der klassischen Methode bleiben.

Das Web wird überflüssig

Möglicherweise weitreichend sind die Folgen des neuen Such-Paradigmas auch fürs Netz selbst. Denn wenn Algorithmen wie Microsofts «Co-Pilot fürs Web» viele Fragen abschliessend beantwortet, gibt es für Nutzerinnen und Nutzer immer weniger Anlass, überhaupt noch unabhängige Websites aufzusuchen. Das Beispiel von Microsoft zum Dreigangmenü zeigt das eindrücklich: Wenn Bing alle Informationen zur Dinnerparty liefert, erübrigt sich der Besuch von Rezept-Websites: Diese Neuerung könnte dem unabhängigen Netz mit seinen Blogs und seinen kleinen, spezialisierten Informationsquellen die Existenzgrundlage entziehen.

Die Tech-Plattform «The Verge» hat den Microsoft-Chef nach diesem Risiko gefragt: In seiner Antwort hat Satya Nadella betont, wie wichtig die Fairness sei: «Wir können alle diese Inhalte nur dann in unserer Suchmaschine verwenden, wenn wir für die Leute, die sie erstellen, Traffic generieren.» Die Suchmaschine werde daher immer auch Links zu den verwendeten Quellen bereitstellen – mit einem direkten Bezug zum Ursprung.

Wer klickt sich noch zu den Quellen durch?

Wie das aussehen könnte, lässt sich schon jetzt mit der Suchmaschine Perplexity.ai austesten: Sie liefert Antworten in Form eines Absatzes, der mit Fussnoten ausgestattet ist. Auf die Frage, wer die Schweiz regiere, gibt es in der Erklärung Verweise auf die Websites des EDA, der «Encyclopædia Britannica», von Swissinfo.ch, Wikipedia und der US-amerikanischen Denkfabrik Freedom House.

Die Quellen sind da – aber wer klickt sie noch an?

Trotz dieser säuberlichen Dokumentation liegt es auf der Hand, dass nur besonders interessierte oder aber medienkompetente Nutzerinnen und Nutzer sich die Mühe machen werden, die Originalquellen zu konsultieren. Für die allermeisten Leute dürfte die Recherche enden, wenn der Bot eine befriedigende Antwort liefert.

Eine halbe Milliarde Klicks weniger für Wikipedia

Es gibt schon heute Belege dafür, dass das zu einem echten Problem werden wird: Seit gut zehn Jahren zeigt Google zu manchen Suchen enzyklopädische Informationen an. Diese Häppchen heissen «Knowledge Panels», und einer Mitteilung von 2020 hält Google sagenhafte 500 Milliarden Fakten zu fünf Milliarden Einzelthemen bereit.

Ein wichtiger Teil, aber längst nicht alle Fakten stammen von Wikipedia – übrigens jeweils mit Link zum Originalbeitrag. Diese Knowledge Panels hätten Wikipedia in einem halben Jahr eine halbe Milliarde Klicks gekostet, hat das Web-Analytics-Unternehmen Similar Web 2015 berichtet. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat damals gegen dramatische Zeitungsberichte protestiert. Gegenüber «Business Insider» hat er aber eingeräumt, dass Wikipedia ein «langfristiges Problem mit abnehmendem Google-Traffic» hat. Eine weitere Kritik besagt, dass viele Nutzer sich nicht bewusst seien, dass diese Informationen von Wikipedia stammten. Das würde den Bekanntheitsgrad des Online-Lexikons und auch seine Chancen schmälern, Spenden und neue Freiwillige zu akquirieren.

«Katastrophal und moralisch fragwürdig»

In einem Kommentar des «Google Watch Blogs» steht vor allem Google in der Kritik, da bei der Demonstration vom Chatbot Bard keinerlei Links zu den Original-Beiträgen zu sehen waren: Die Befürchtung steht im Raum, dass Inhalte aus dem Web ausgebeutet werden, ohne dass die Urheber dieser Inhalte etwas davon haben – und sogar Einbussen in Kauf nehmen müssen, weil sich weniger Leute bis zu ihren Texten durchklicken. Der Satz, Google «klaue meinen Content», kriege eine ganz neue Dimension, heisst es im Blogpost: «Das ist katastrophal und moralisch fragwürdig.»

In der Tat: Wenn Tech- Unternehmen mit ihren künstlichen Intelligenzen fremde Inhalte verwenden, sollten sie dafür eine Entschädigung leisten – oder sie sollten den Urheberinnen und Urhebern zumindest die Möglichkeit einräumen, ihre Inhalte für die Nutzung in KIs zu sperren.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 14. Februar 2023

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