Schüssler

Künstliche Intelligenzen – nützlich, komisch und skurril

Die digitale Welt wird von einer invasiven Spezies heimgesucht. Das sind die künstlichen Intelligenzen (KI). Oder, nüchterner formuliert, Apps, die mittels maschinellen Lernens ein Problem eigenständig lösen können. Im letzten Jahr haben sie einen Medienrummel nach dem nächsten ausgelöst: Sie haben uns beeindruckt, weil sie Kunst erzeugen (Dall-e 2) oder als Autoren auftreten, die uns Menschen die Welt erklären (ChatGPT). Und eines ist uns klar geworden: KI sind unglaublich selbstbewusst, selbst wenn sie völligen Blödsinn von sich geben.

2023 geht diese Revolution weiter. Und es könnte die Frage auftauchen, was diese Maschinen können – und was nicht. Eine Vorstellung davon gibt die Website «There Is an AI for That» (Theresanaiforthat.com). In Abwandlung von Steve Jobs’ berühmtem Bonmot, es gebe eine App für alles, liefert sie einen Katalog der künstlich klugen Anwendungen.

Und ja – das Angebot verschlägt mir den Atem: Eine der Neuerungen ist MusicLM. Das ist eine KI von Google, die anhand von zwei, drei beschreibenden Sätzen fertige Popsongs erzeugt. Der Input lautet zum Beispiel wie folgt: «Der Hauptsoundtrack eines Arcade-Spiels. Er ist peppig, mit einem eingängigen E-Gitarren-Riff.» Das Resultat klingt überzeugend und könnte jederzeit im Radio gespielt werden.

Vikara gibt Ernährungstipps für Leute, die abnehmen wollen. Auf Letsfoodie.com findet sich ein Generator für Rezepte. Dort zählen wir einige Zutaten auf und erhalten nach ein paar Sekunden ein Rezept. Ich probiere es mit Kartoffeln, Sellerie, Wassermelone, Sojasauce und Mandeln, woraufhin die KI mir einen asiatisch angehauchten Wassermelonen-Salat vorschlägt – inklusive Zutatenliste und Anleitung.

Das Stöbern in dem KI-Katalog jagt mir einen Heidenrespekt ein. Haben wir als Menschheit uns das gut überlegt, ob wir diesen Geist aus der Flasche lassen wollen? Vielleicht spendet ein Philosoph Zuversicht. Unter Philosophy.fyi lassen sie sich befragen. Was meint Sokrates zur möglichen Herrschaft der Maschinen? Er hält es für keine gute Idee, weil sie zu Fehlern neigen und keine Emotionen spüren. Und überhaupt «sind wir diejenigen, die sie überhaupt erst geschaffen haben».

Halten wir fest: Der Beruf des Philosophen ist nicht unmittelbar bedroht. Aber derjenige des Komikers? Auf Punchlines.ai geben wir eine erste Zeile vor, worauf die Maschine uns einen Witz daraus bastelt. Also: «Kommen eine schwangere Frau, ein Atheist und eine künstliche Intelligenz in eine Bar …» Die KI vervollständigt: «… sagt der Barkeeper: ‹Ich nehme, was Sie haben.›» Wir stellen fest: Auch Mario Barth muss vorerst nicht um sein Publikum fürchten.

Die KI sind fast in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Watchnowai.com gibt Filmtipps. Fashion AI erklärt mir, wie ich als ewiger Jeans- und-Pulli-Träger modisch auf den Trichter komme. Und der Geschenkassistent (Giftassistant.io) gibt Tipps für Mitbringsel: für die Schwiegermutter beim Höflichkeitsbesuch – ein Blumenstrauss oder eine Tasse mit einem anerkennenden Spruch. Darauf wäre ich selbst gekommen, obwohl ich nie Schwiegersohn des Jahres war. Aber immerhin: Wenn die Tasse nicht auf Wohlwollen trifft, kann ich das der KI in die Schuhe schieben.

Es gibt auch eine KI, die beim Entwickeln neuer KI hilft. Prisms.ai hilft Leuten auf die Sprünge, die des Programmierens nicht mächtig sind. Keine Frage: Da kommt noch viel mehr auf uns zu. Doch so einschüchternd das auch sein mag: Wir Menschen werden uns der Maschinen erwehren. Indem wir uns lustig über sie machen – so wie CatGPT das tut: Das ist eine grossartige Parodie auf den besserwisserischen ChatGPT-Bot, sie beantwortet auch die tiefgründigste Frage mit einer Variante von Miau.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 5. Februar 2023

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