Schüssler

Welche künstliche Intelligenz malt mich am schönsten?

Da hat Lensa etwas Schönes angerichtet! Die App hat Ende des letzten Jahres die «magischen Avatare» erfunden: Das sind künstliche Porträtbilder, die Nutzerinnen und Nutzer in Heldenposen zeigen und uns in Ritter, Astronauten oder Anime-Figuren verwandeln. Als Ausgangsmaterial benötigt die App zehn bis zwanzig Selfies. Aus denen kreiert sie Illustrationen, die ihrerseits auf Fantasy-Illustrationen und Comicbildern aus dem Internet beruhen.

Einige der Bilder waren sexistisch oder rassistisch. Das ist kein Wunder, da das Internet voll von solchen Motiven ist und eine KI keinerlei eigenes Geschmacksempfinden hat. Der mediale Rummel hat Lensa nicht geschadet und eine Vielzahl von Trittbrettfahrern auf den Plan gerufen. Es stellt sich die Frage: Ist das mehr vom Gleichen – oder haben diese Nachahmer neue, originelle Ansätze zu bieten?

Remini ist kein KI-Neuling: Der Hersteller setzt die künstliche Intelligenz zur Bildverbesserung ein, beispielsweise, indem unscharfe Bilder nachgeschärft werden. Bei Remini zahlen wir drei Franken für 50 Avatare – und es gibt diese App, wie die beiden anderen, fürs iPhone und für Andorid. Diese Kreationen lassen sich als Profilbilder nutzen: Es gibt keine extravaganten Perspektiven oder Ganzkörperbilder, sondern eine Ansicht wie aus dem Passfotoautomaten. Was wechselt, sind Gesichtsbehaarung und Kopfbedeckung sowie Farbgebung und Stil. Was fehlt, ist die abenteuerliche Note.

Aiby AI Art ist die teuerste der hier getesteten Apps. Für 112 Bilder sind zehn Franken vorzustrecken – und wie beim Porträtmaler wissen wir erst hinterher, ob sich die Sache gelohnt hat. Diese App kommt Lensa am nächsten, denn auch sie verwandelt die Person auf den Selfies in einen mittelalterlichen Kämpfer, einen Jedi-Ritter, einen mystischen Heiligen und einen Comichelden im Grossstadtdschungel.

Diese App irritiert in mehrerer Hinsicht. Auf keinem einzigen Bild ist auch nur die Andeutung eines Lächelns zu sehen. Es gibt Bildvarianten, in denen der magische Avatar als dicklicher Geschäftsmann in Sakko und mit Krawatte in Erscheinung tritt: Anscheinend ist für manche auch der Bürolist aus dem mittleren Management eine Heldenfigur. So martialisch, so bierernst und überzogen hat Aiby das schlechteste Verhältnis von Preis und Leistung.

Prequel ist eine erfreuliche Abwechslung. Auch beim Output dieser App finden wir Posen, die von Vin Diesel oder einem anderen testosteronstrotzenden Actionhelden aus einem Hollywoodfilm abgeschaut sind. Doch es gibt auch andere Darstellungen – im Fall meiner Porträts finden wir Männer, die sich ihrer weiblichen Seite nicht schämen oder einen metrosexuellen Touch haben. Es gibt Figuren, die lächeln, und solche mit disneyhaften Zügen, die ausdrücken, dass wir uns selbst nicht ganz so ernst nehmen.

Fazit: Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Die Prequel-App gewinnt diese Ausmarchung. Doch unter dem Strich zeigt sich, dass keine der Apps den anderen gross überlegen wäre – im Gegenteil: Diese «magischen Avatare» sind sich alle verblüffend ähnlich. Doch so überraschend ist das gar nicht, weil alle mit der gleichen Software arbeiten. Sie heisst Stable Diffusion und kann als Open Source von jedermann eingesetzt werden, ohne dass die App-Hersteller eine eigene KI entwickeln müssten.

Den Unterschied macht das Ausgangsmaterial. Das sind die Motive, die die App als Vorlage für die erzeugten Avatare verwendet. Das heisst: Für wirklich originelle Avatare müssen wir Stable Diffusion selbst installieren und mit Bildern trainieren, die unserem Geschmack entsprechen. Das ist zwar möglich – allerdings bei weitem anspruchsvoller als die Benutzung der hier vorgestellten Apps.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 29. Januar 2023

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