Schüssler

Acht Apps, um sich neu zu erfinden

Aus dem Nichts hat sich Lensa zur Nummer eins der Foto-Apps gemausert. Sie verbessert Fotos mit künstlicher Intelligenz – aber nicht nur das: Wer die App benutzt, kann sich in virtuelle Fantasiewelten versetzen und sich als Astronaut, Kriegerprinzessin, Cyborg oder Superheldin abbilden lassen.

Dieses Spiel mit Fantasie-Identitäten entpuppt sich als kurzweilig. Aber es ist nicht ohne Risiko: Die KI wird durch eine riesige Anzahl Bilder aus dem Internet gespeist, die nicht alle handverlesen sind, und produziert gelegentlich auch verstörende Resultate. Die App gibt es für Android und iPhone. Sie ist kostenlos, doch aufgrund des grossen Rechenaufwands muss für die Erstellung der sogenannten «magischen Avatare» bezahlt werden; die Preise dafür beginnen bei 3 Franken.

Es gibt auch gefahrlose und für Kinder geeignete digitale Verwandlungsmöglichkeiten. Die Clips-App von Apple nimmt Videos auf, in denen Personen live durch niedliche Kunstfiguren ersetzt werden: Wir mutieren zu Tieren wie Giraffe, Hai, Fuchs oder Hündchen oder aber auch zum Alien oder Roboter. Diese virtuellen Comicfiguren ahmen die Mimik nach und bewegen beim Sprechen die Lippen.

Die Voilà-App hat im letzten Jahr für einen Hype gesorgt. Sie konvertiert, wiederum mithilfe von KI, Selfies in Karikaturen, Cartoons oder auch Renaissance-Porträts. Und ebenfalls von 2021 stammt die Wombo-App: Sie verwandelt ein Porträtfoto in ein animiertes Musikvideo, indem sich der Kopf im Takt der Musik und die Lippen synchron zum Text bewegen. Diese App liefert auch den Beweis dafür, dass sich diese Effekte schnell abnutzen: Beim dritten Selfie-Musikvideo ist der Effekt durch.

Die FaceApp arbeitet mit echten Selfies, bei denen wir unser Erscheinungsbild verändern. Wir lassen uns virtuell einen Bart wachsen, verwandeln uns in einen Teen zurück oder erhalten von der App eine Prognose, wie wir als Senior oder Seniorin aussehen werden. Und selbst das Geschlecht lässt uns diese App wechseln. Das kann man als unschuldigen Spass betrachten – oder zum Anlass nehmen, ernsthaft über seine Identität nachzugrübeln. Es gibt indes auch einen praktischen Nutzen. Mit der App lote ich aus, wie mir ein Vollbart stehen würde, ohne dass ich mir tatsächlich einen wachsen lassen muss.

Aber warum bei der Gesichtsbehaarung aufhören? Auf virtuellem Weg liessen sich auch Kleider und Modeaccessoires virtuell anprobieren und auswählen, was beim Onlineshopping eine grosse Hilfe wäre. Die App, die bezüglich Mode eine echte Hilfe wäre, habe ich bislang noch nicht gefunden. Das dürfte sich in naher Zukunft ändern. Ein spannender Ansatz liefert die Avatar-Cloud-App: Dabei verwendet die Nutzerin oder der Nutzer einen Avatar von sich selbst, um Kleidungsstücke virtuell Probe zu tragen. Dieser Avatar wird anhand eines Bodyscans erstellt. Die Scanner sind allerdings noch rar; es gibt sie bislang erst in Berlin und Hamburg.

Unzählige Apps erlauben es, spielerisch in andere Rollen zu schlüpfen. Das Genre der Rollenspiele hat bei den Videogames Tradition: Der Spieler greift als Zauberer, Krieger oder auch als Tier oder Objekt ins Geschehen ein. Ein Klassiker ist «Dungeons & Dragons», der in der Urform analog mit Papier und Bleistift gespielt wurde, aber schon in den 1970er-Jahren auf Uni-Computern die Studenten erfreute.

Die Rollenspiele gibt es auch in den Smartphone-App-Stores. Zu den beliebten Titeln gehören Me-Chat, in der man als Spieler in einer virtuellen Chat-App interaktive Geschichten aus der Ich-Perspektive erlebt, oder Simulacra, wo wir als Hobbydetektiv einem gefundenen Smartphone seine Geheimnisse entlocken.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 18. Dezember 2022

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