Musk wirft Blendgranaten, dabei bräuchte er Allianzen

Kritik an Apple Der Twitter-Chef will im App Store bessere Konditionen – das ist legitim.

Wer darauf gehofft hatte, der Furor des neuen Twitter-Chefs würde sich nach ein paar Tagen legen, der sieht sich getäuscht: Elon Musk twittert weiterhin pausenlos und mit manischem Eifer. Inzwischen wähnt er sich in einem Kampf um die «Zukunft der Zivilisationen». Und, fast schon beiläufig, wirft er auch Apple den Fehdehandschuh hin.

Um seinen Unmut zu ventilieren, hat Musk diese Woche eine Salve von Tweets abgeschossen: Er unterstellt, Apple würde «die freie Rede hassen», weil der Konzern seine Werbung auf Twitter gestoppt hat. Er stellt die rhetorische Frage, ob das Publikum denn wisse, dass Apple «eine geheime Steuer von dreissig Prozent auf alles erhebt, was wir im App Store kaufen»? Und in einem (inzwischen gelöschten) Tweet zeigte Musk ein Meme, das uns darüber informiert, dass er lieber in den Krieg zieht, als die dreissig Prozent weiterhin zu entrichten.

Hinter dem operettenhaften Klamauk steht ein ernsthafter Konflikt: Musk twittert nämlich auch, Apple habe ohne Angabe von Gründen gedroht, die Twitter-App aus dem Store zu werfen. Es braucht indes keine grossen Mutmassungen, warum dieser Bann im Raum steht: Es geht um die Moderation der Inhalte. Apple hat im Januar 2021 die Parler-App entfernt, weil die Betreiber zu wenig gegen die Aufrufe zur Gewalt auf ihrer Plattform unternommen haben.

Es ist das eine, dass der Egomane Musk sich nicht vorschreiben lassen will, wie er seine Plattform zu führen hat. Abgesehen davon ist die Frage legitim, ob es Apples Aufgabe ist, zu bestimmen, wie viel Moderation Twitter auf seiner Plattform leisten muss. Begründet ist auch Musks Kritik an Apples «geheimer App-Store-Steuer» – auch wenn die gar nicht so geheim ist, sondern seit der Lancierung des App Store im Jahr 2008 allgemein bekannt ist.

In den letzten 14 Jahren hat sich die Softwarelandschaft massiv verändert: Apple und Google diktieren mit ihren Stores einem ganzen Wirtschaftszweig ihre Regeln. Diese Machtkonzentration ist problematisch, und sie verhindert jene Innovation, die den beiden grossen Konzernen nicht in den Kram passt.

Musk ist nicht der Einzige, der sich daran stört. Spotify hat 2019 eine Kartellbeschwerde bei der EU eingereicht, weil das schwedische Unternehmen sich gegenüber Apples eigenem Streamingdienst benachteiligt sieht. Game-Hersteller Epic hat 2020 den Rauswurf seines Spiels «Fortnite» aus dem Store provoziert, weil er gerne einen eigenen Store für mobile Videospiele betreiben würde. In den Niederlanden hat Ende 2021 die Behörde für Verbraucher und Märkte die In-App-Provisionen als wettbewerbswidrig erklärt und Apple dazu gebracht, den Store für alternative Bezahlschnittstellen zu öffnen. Auslöser dieses Entscheids war die Match Group, das Unternehmen hinter der Datingplattform Tinder. Im Mai hat Match in den USA Google verklagt, um sich das Recht auf alternative Zahlungssysteme zu erstreiten.

Apple-Chef Tim Cook ist ein geduldiger, nüchterner Analytiker, der sich von ein paar Musk-Tweets garantiert nicht beeindrucken lässt. Wenn es Musk mit seinem «Krieg» ernst ist, dann sollte er keine Blendgranaten werfen. Stattdessen könnte er sein Charisma darauf verwenden, die Unzufriedenen zu einer breiten Allianz zu versammeln. Die hätte eine reelle Chance, Apple und Google Zugeständnisse abzutrotzen. Doch dann müsste Musk sein Ego hintanstellen und sich der Sache widmen. Es sieht nicht danach aus, dass er dazu in der Lage ist.

Matthias Schüssler

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 30. November 2022

Rubrik und Tags:

Faksimile
221130 TA Seite 11.pdf
221130 TA Seite 24.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Analyse
Nr: 19462
Ausgabe:
Anzahl Subthemen:

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: false