Run auf Mastodon

Der Twitter-Exodus ist im vollen Gang

Mastodon ist eine offene Social-Media-Plattform. Sie hat in den letzten Tagen auch in der Schweiz einen grossen Zulauf erfahren. Das ist vor allem das Verdienst von Elon Musk.

Matthias Schüssler

«Das Gesindel ist noch nicht eingetroffen» – aber der Intensiv-Twitterer Patrick «Karpi» Karpiczenko ist jetzt auch bei Mastodon.

Seit der Übernahme durch Elon Musk ist die Stimmung auf Twitter im Keller. Die Zahl der provokativen Tweets ist stark angestiegen. Einige Nutzer wollten offensichtlich austesten, wie weit Elon Musks Liebe zur freien Meinungsäusserung geht: Sie haben Posts veröffentlicht, die nur aus herabwürdigenden Bezeichnungen für bestimmte Ethnien bestanden – die vorerst aber auch unter dem neuen Chef umgehend zu einer Sperrung des Accounts führen.

Der neue Twitter-Chef hat auch mit seinen Überlegungen zu neuen Einkommensquellen irritiert, bei denen die Nutzer eines verifizierten Accounts mit blauem Häkchen künftig zur Kasse gebeten werden sollen. Und er zeigte sich dünnhäutig gegenüber Parodien, die unter dem Namen «Elon Musk» Witze auf seine Kosten rissen: Wer sich künftig ohne «Parodie»-Hinweis als jemand anderes ausgebe, werde ohne Warnung blockiert. Das passierte in einigen Fällen sogar trotz des entsprechenden Labels.

Mit diesen direkten Einmischungen ins Tagesgeschäft hat Elon Musk vor allem der Konkurrenz einen Gefallen getan. Mastodon erlebt mit bis zu 70’000 Neuanmeldungen pro Tag ein Allzeithoch – selbst wenn sich die Zahlen im Vergleich zu anderen Plattformen auf niedrigem Niveau bewegen. Gemäss joinmastodon.org hat das Netzwerk derzeit ungefähr eine Million aktive Nutzerinnen und Nutzer pro Monat.

Wesentlich für die zukünftige Entwicklung ist indes, dass Mastodon nicht nur neue User erhalten hat, sondern vor allem auch neue sogenannte Instanzen. Denn Mastodon funktioniert nicht wie die herkömmlichen sozialen Netzwerke wie Twitter, Facebook oder Tiktok über ein zentrales Datencenter, sondern über weltweit verteilte Server. Dieses Netzwerk ist föderalistisch angelegt. Es nennt sich Fediversum und basiert auf offener Software. Es ist daher darauf angewiesen, dass Organisationen oder Private genügend Server betreiben, damit die Infrastruktur mit dem Wachstum Schritt halten kann.

Neue Schweizer Server für die offene Twitter-Alternative

Diese Server werden auch Instanzen genannt. In der letzten Woche sind diverse neue Instanzen hinzugekommen, gerade auch in der Schweiz, wo es bisher keine grossen lokalen «Niederlassungen» des Fediversums gab. Einer der Server, die ans Netz gingen, ist swiss-talk.net: Er wird von Andi Freimüller und Reda El Arbi betrieben: Ersterer ist Aktivist und Unternehmer, Letzterer eine der prägnantesten und kontroversesten Schweizer Stimmen auf Twitter. Ein weiterer neuer Server für die Deutschschweiz ist swiss.social, und auch in der Westschweiz haben sich mehrere Instanzen etabliert, etwa tooting.ch.

Es bleibt abzuwarten, ob dieser Exodus Twitter nachhaltig schädigt. Doch wenn die grossen Namen die Plattform verlassen, wird Elon Musk das zu spüren bekommen: Die «intensiven» Twitter-Nutzer machen zwar weniger als zehn Prozent der gesamten Nutzerzahl aus, doch sie sind für neunzig Prozent aller Tweets und für die Hälfte des Umsatzes verantwortlich. Die Nachrichtenagentur Reuters hat eine interne Studie zu Gesicht bekommen, wonach Twitter in den letzten Monaten besonders viele der intensiven Nutzerinnen und Nutzer verloren hat. Ausserdem gebe es einen «verheerenden» Rückgang bei Nutzern, die sich für Mode oder Prominente wie die Kardashian-Familie interessieren.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 8. November 2022

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