Analyse zu Techkonzernen

Zuckerberg klaut gerne mal – und alle tun es ihm gleich

Nicht nur Facebook betreibt Imitation statt Innovation – auch viele andere Techkonzerne tun das. Das ist wenig originell, hat aber auch eine positive Seite.

Matthias Schüssler

Mark Zuckerberg hat keine Skrupel, sich Inspiration bei der Konkurrenz zu holen. Seine eigenen Ideen werden nicht immer zum Erfolg: Der Plan von 2013, ein Facebook-Handy mit eigenem Homescreen zu entwickeln, ist gescheitert.

Mark Zuckerberg gilt als Genie: Unglaublich klug, entschlossen und schon in jungen Jahren ein erfolgreicher Geschäftsmann. So wirkt der Facebook-Gründer. Aber nicht auf alle. Ein Autor des Techmagazins «Wired» kam schon vor vier Jahren zu einem gänzlich anderen Urteil: «Der mangelnde Erfindergeist des Chefs ist Facebooks grösstes Problem», sagt er.

Für diese Behauptung führt der Journalist ein bemerkenswertes Indiz ins Feld. Er verweist auf eine Anhörung vor dem US-Kongress, bei der Zuckerberg gefragt wurde, wie Facebook denn Geld verdiene: «Senator, wir schalten Werbung», antwortete Zuckerberg. Eine Antwort, die «von einem Zeitungsunternehmer in den 1930er-Jahren» hätte stammen können.

Ein Geschäftsmodell wie vor 90 Jahren

Ein Geschäftsmodell wie vor 90 Jahren – und auch bei den Produkten tut sich Zuckerbergs Konzern nicht durch Originalität hervor. Weniger diplomatisch formuliert: Meta klaut, was das Zeug hält.

Mark Zuckerberg hat es derzeit auf die Video-App Tiktok abgesehen. Diese wächst rasant und gräbt Meta bei den Werbegeldern das Wasser ab. Darum soll bei Facebook und Instagram künftig wie beim chinesischen Konkurrenten ein Algorithmus im Zentrum stehen. Der speist Inhalte in den Feed ein, die nicht von Freundinnen und Freunden stammen. Dadurch rückt der soziale Aspekt in den Hintergrund, stattdessen werden die Inhalte aus einem globalen Pool ausgewählt.

2008 wurde Mark Zuckerberg vor Gericht gezerrt, weil er angeblich wesentliche Bausteine bei Weggefährten geklaut hat.

Es ist nicht neu, dass Mark Zuckerberg Konkurrenten kopiert, die ihm gefährlich werden könnten. Im Gegenteil: Er tut das immer wieder, wenn sich ein Widersacher der Übernahme verweigert. Ende 2012 sollte die Poke-App Snapchat verdrängen. Der bei Jugendlichen beliebte Messenger blieb eigenständig, woraufhin Facebook 2016 dessen Story-Funktion abkupferte und bei Facebook und Instagram einbaute. 2020 brachte Meta die Hobbi-App auf den Markt. Sie funktionierte fast genauso wie Pinterest. Das ist ein soziales Netzwerk, bei dem die Nutzerschaft interessante Bilder aus dem Web sammelt. Mit Rooms stellte sich Zuckerberg 2020 gegen die Videoconferencing-Software Zoom. Und 2021 antwortete Meta auf den Clubhouse-Hype und den Podcast-Höhenflug mit der Lancierung seiner Audio Rooms.

Spielideen zu klauen, ist ein ungesühntes Verbrechen

Nicht alle Ideen sind patentierbar. Welche Auswirkungen das hat, zeigt sich bei den Spiele-Apps: Die Hersteller können Details ihrer Umsetzung schützen, nicht aber die Spielmechanik selbst – denn das Urheberrecht schützt keine Anweisungen – und damit weder Spielregeln noch Kochrezepte.

Die Auswirkungen davon sind in den App-Stores zu begutachten: Eine erfolgreiche Spielidee gibt es in Dutzenden oder Hunderten Varianten. Allen voran gilt das für die Match-3-Spiele, bei denen auf einem Spielbrett drei oder mehr Spielsteine einer Farbe kombiniert werden müssen. «Candy Crush Saga» ist mit diesem Prinzip zu einem der erfolgreichsten Games überhaupt geworden, gefolgt von Dutzenden Trittbrettfahrern mit Namen wie «Toon Blast» oder «Homescapes».

Gamerefinery, ein Analyst für den Markt der mobilen Spiele, schätzt, dass Match-3-Spiele 2021 für 16 Prozent des Umsatzes verantwortlich sind, den iPhone-Spieler in den USA generiert haben. Das sei das erfolgreichste Genre, das Millionen umsetzt. Und zwar mit einer Spielidee, die sich der russische Entwickler Eugene Alemzhin 1994 für das DOS-Spiel «Shariki» ausgedacht hat – der Erfinder selbst ist leer ausgegangen. (schü)

Auch bei Facebook selbst ist umstritten, von wem die Initialzündung stammt. 2008 wurde Mark Zuckerberg von Weggefährten vor Gericht gezerrt, weil er angeblich wesentliche Bausteine ihres sozialen Netzwerks HarvardConnection.com geklaut hat. Dieser Disput endete mit einem Vergleich, bei dem die Kläger 1,2 Millionen Facebook-Aktien erhalten haben. Ohnehin gab es soziale Netzwerke schon vor Facebook, Friendster und Myspace waren die Pioniere.

Zuckerberg kopiert – aber nicht als Einziger

In diesem Licht erscheint Zuckerberg nicht als Innovator, sondern als Imitator. Ist er deswegen das schwarze Schaf der Branche? Mitnichten – denn der Ideenklau ist in der Techbranche ein Kavaliersdelikt. Man kann es auch anders sagen: Ein Produkt ist erst dann erfolgreich, wenn es nachgeahmt wird.

Trotzdem ist auffällig, dass manche Unternehmen häufiger als Kopisten in Erscheinung treten als andere. Microsoft hat wie Facebook den Ruf als Trittbrettfahrer. Er geht zurück bis in die 1980er-Jahre, als der Softwarekonzern von Bill Gates mit Windows 2.0 ein Betriebssystem abgeliefert hat, das ein uneheliches Kind von Apples Macintosh-Betriebssystem hätte sein können.

Auch Apple hat längst nicht alle Produkte erfunden, mit denen der Konzern Geld verdient.

Seitdem sind diverse Fälle dazugekommen: Microsofts Zune-Musikplayer hatte 2006 eine verblüffende Ähnlichkeit mit Apples iPod. Mit der Kommunikationssoftware Teams konkurrenziert Microsoft seit 2016 den kanadischen Messaging-Dienst Slack, nachdem dessen Übernahme abgeblasen worden war. Und wer nur einmal Microsofts Suchmaschine Bing benutzt hat, erkennt die Parallelen zu Google sofort.

Ähnlichkeiten sind unübersehbar: Links der iPod von Apple, rechts Microsofts Zune.

Apple, die Speerspitze der Innovation?

Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die in der Öffentlichkeit als innovativ wahrgenommen werden. Die werden – natürlich – von Apple angeführt. Das iPhone ist ein eindrücklicher Beleg, dass es einen durchschlagenden Erfolg ohne Nachahmer nicht gibt. Samsung, Google, LG und andere haben eine eigene Produktkategorie geschaffen, die wir heute als Smartphone kennen. Ebenso ist die Gattung der Tablets entstanden: Das iPad war der Wegbereiter, aber etabliert hat sich der Touch-Computer dank der freundlichen Mithilfe anderer Hersteller.

Ist Apple also der König der Innovation? Mitnichten. Der Konzern hat längst nicht alle Produkte selbst erfunden, mit denen er Geld verdient.

Bei den vernetzten Lautsprechern mischen heute Apple mit dem Homepod und Google mit den Nest-Modellen mit. Doch der Erfinder des Smartspeakers ist Amazon mit dem Echo von 2014. Der Streamingdienst Apple Music wäre ohne Spotify nicht denkbar. Selbst die ikonische Apple-Watch hat Vorläufer. Einer ist die Pebble-Smartwatch, die 2013 aus einem Crowdfunding-Projekt entstanden ist.

Die Apple Watch (Mitte) gilt zwar als Inbegriff der Computer-Uhr, doch die Entwicklung wurde von mehreren Unternehmen vorangetrieben. Links die Motorola Moto 360, rechts die Pebble Time Steel.

Wir sehen die Welt gern schwarz und weiss: Die Erfinder sind die Genies, denen unsere Bewunderung gehört, während Kopisten wie Schmarotzer wirken. Die Wirklichkeit ist komplizierter: Denn der Erfolg hat fast immer viele Väter. Selbst scheinbare Geniestreiche kommen nicht aus dem Nichts, sondern werden durch unscheinbare Vorläufer inspiriert.

Der grossartige iPod hatte mit dem Rio PMP300 einen weniger glamourösen Vorgänger. Und was die beiden unehelichen Kinder Windows und Mac angeht, können die sich auf einen Vorfahren namens Xerox Alto berufen. Das ist ein Computersystem mit grafischer Benutzeroberfläche, das 1973 am Forschungszentrum Xerox Parc entstand.

Eine Maus und ein grafisches Betriebssystem: Der Xerox Alto ist der Vorläufer des modernen PC; hier zu sehen im Computer History Museum in Mountain View, Kalifornien.

Ein Geben und Nehmen

Auch die Nachahmer tragen über die Zeit ihren Anteil zum Fortschritt bei. Das Smartphone ist der beste Beweis: Apple hat zwar den ersten entscheidenden Schritt getan, doch seitdem sind viele Kreationen aus der Android-Welt zum iPhone zurückgeflossen: die Widgets auf dem Homescreen und der Stromsparmodus, um nur zwei zu nennen.

Wer sich die Idee zu einem Produkt «ausleiht», braucht zwar keinen Geistesblitz, aber auch er muss Eigenleistungen vollbringen, wenn er nicht verklagt werden will. Denn der ursprüngliche Erfinder dürfte viele Eigenschaften seines Produkts patentiert haben, die deswegen nicht eins zu eins kopierbar sind.

Wenn mehrere Hersteller mit ähnlichen Produkten um die Gunst des Publikums ringen, setzen sich auf längere Sicht die besten Konzepte durch und werden universell verständlich. Das gilt aber nur, solange die Unternehmen nicht nur klauen, sondern weiterhin Geld und Gehirnschmalz in Forschung und Innovation stecken. Es braucht den Willen zum echten Fortschritt – und das ist das Gegenteil von Mark Zuckerbergs Bemühungen, die Konkurrenz durch seine Kopien aus dem Markt zu drängen.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 10. August 2022

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