Warum der Joystick «Joystick» heisst

Digitalvokabular Neue Technologien brauchen die passenden Wörter. Beim Erfinden verständlicher Begriffe ist die Computerbranche meist treffsicher und kreativ. Und manchmal greift sie leider komplett daneben.

Matthias Schüssler

— Die Maus: Anschaulich und fassbar

Wer eine Erfindung macht, der braucht auch ein passendes Wort dafür. Diese Bezeichnung hat einen unmittelbaren Einfluss darauf, wie verständlich diese Erfindung für die Menschen ist, die sie benutzen sollen. In der Sphäre der Computer, Smartphones und der digitalen Kommunikation gibt es gute wie schlechte Beispiele: Zu den positivsten Fällen zählt die Computermaus: Ausser für Leute mit einer Murophobie (Angst vor Mäusen) wirkt der Begriff freundlich. Und er ist – zumindest bei Mäusen, die noch ein Kabelschwänzchen haben – sofort verständlich und fassbar.

Wem die Ehre gebührt, die Maus erfunden zu haben, ist umstritten. Zwei Männer arbeiten in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre an solchen Steuerungsgeräten. Der eine ist Douglas C. Engelbart. Er ist Techniker beim Xerox Parc, der legendären Forschungsstätte für Informationstechnologie. Der andere Mann heisst Rainer Mallebrein. Der Elektroingenieur aus Karlsruhe ist bei Telefunken engagiert. Dieses deutsche Nachrichtentechnikunternehmen hat als erstes ein marktreifes Produkt parat. Mallebreins Erfindung steht ab Oktober 1968 für einen Preis von 1500 Mark zum Kauf. Wer den besseren Namen hat, ist unangefochten; Engelbart hat den richtigen Riecher. Er spricht von der Maus, während Mallebrein seiner Kreation einen trockendeutschen Produktnamen gibt: Rollkugelsteuerung.

— SCSI, HDMI und WYSIWYG: Das technoide Vokabular

Doch im Vergleich zu den vielen technoiden Kürzeln geht selbst die Rollkugelsteuerung leicht über die Zunge. Die Techbranche hat einen fatalen Hang zu unaussprechbaren Akronymen, mit denen sie Stecker, Kabel, Komponenten und Übertragungsprotokolle benennt; SCSI oder HDMI sind nur zwei Beispiele.

Das nimmt bisweilen ironische Züge an: Eine technische Verbesserung vereinfacht die Computernutzung in den 1990er-Jahren markant. Sie sorgt dafür, dass Dokumente am Bildschirm nicht durch Codes für die Druckersteuerung verunstaltet werden, sondern genau so erscheinen wie auf dem Papier. Computer werden zu besseren Bürohelfern, doch die Bezeichnung für die Innovation ist so abschreckend, wie sie nur sein kann: WYSIWYG. Das Wortungetüm steht für «What You See Is What You Get» oder auf Deutsch: «Was du siehst, das bekommst du auch.»

— Patches…

Viele der Begriffe aus der digitalen Welt versinnbildlichen abstrakte Konzepte, zum Beispiel die Festplatte, die flüchtige Informationen dauerhaft festhält. Viele der Begriffe begreifen wir heute als Metapher. Einige davon hatten in den Kindertagen der Informatik indes eine wortwörtliche Bedeutung. Etwa der «Patch». Darunter verstehen wir modernen Computer- und Handybenutzer ein Software-Update. Es behebt einen gravierenden Fehler, so wie ein Aufnäher, der das Loch in einer Jacke kaschiert. Ursprünglich ist der Patch ein Klebestreifen im wortwörtlichen Sinn: Er deckt auf einer Lochkarte ein fälschlicherweise ausgestanztes Loch ab. Eine solche Reparatur korrigiert auf einem Datenträger aus Karton ein falsch gesetztes Speicherbit.

— …und Bugs: Früher wortsinnig, heute metaphorisch

Auch der Bug ist so ein Fall: Das englische Wort für Käfer oder Wanze bezeichnet heute einen Softwarefehler. Entstanden ist es gemäss der Legende durch eine tatsächliche Motte, die sich im mechanischen Relais verklemmte und Rechenfehler verursachte. Der Vorfall ist für den 9. September 1945 dokumentiert: Grace Hopper arbeitet mit dem Harvard-Mark-II-Computer, der im Dienst der US Navy steht.

Grace Hopper ist eine Computerpionierin, die einerseits die Sprache prägt: Sie erfindet den Begriff des Debuggings: das «Entwanzen» beziehungsweise Korrigieren von Programmcodes. Andererseits hat Hopper massgeblichen Einfluss auf die Informatik selbst. Sie ist mitverantwortlich dafür, dass heute Softwareprogramme in leicht verständlichen Sprachen entwickelt werden. Und die Frau, die bei der Navy den Rang eines Admirals bekleidet, hat Humor. Die fehlerverursachende Motte klebt sie in ihr Logbuch ein und schreibt eine lapidare Feststellung daneben: «Erster tatsächlicher Fall, wo ein Bug gefunden werden konnte.»

— Bluetooth: Klingend und ohne tiefere Bedeutung

Es gibt Erfindungen, deren Name etwas über ihre Entstehungsgeschichte verrät. Bluetooth ist ein anschauliches Beispiel. Die Bezeichnung für den Funkstandard ist anfänglich nur ein Codename, der bei der Lancierung notgedrungen beibehalten wird – weil keinem der Marketingexperten etwas Besseres eingefallen ist.

Dass Bluetooth «Bluetooth» heisst, ist Jim Kardachs Schuld. Der Intel-Angestellte hat 1998 die Aufgabe, die Branche auf einen gemeinsamen Funkstandard einzuschwören. Im Konsortium sind nicht nur IBM, Intel und Toshiba vertreten, sondern auch die Handyhersteller Nokia aus Finnland und Ericsson aus Schweden. Kardach erzählt in einem Interview, wie zäh die Verhandlungen laufen. Als eine Einigung zu platzen droht, erinnert sich der Hobbyhistoriker abends im Pub an Harald Blauzahn. Der dänisch-norwegische König hatte diplomatisches Geschick und ein Talent, Stammesoberhäupter zu versöhnen. Blauzahn bringt auch die rivalisierenden Unternehmen zusammen. Kardach hat auch deswegen Freude an seiner Wortkreation, weil Bluetooth auch auf Englisch ein Zungenbrecher ist. Die Vorstellung amüsiert ihn, dass sich Bill Gates oder der damalige Intel-Chef Andy Grove an diesem Wort abmühen müssen.

— Wie konnte das mit dem Joystick passieren?

Ein Rätsel bleibt der Joystick: Das ist ein Gerät, mit dem der Spieler in Videogames die Figuren in die gewünschte Richtung lenkt. Auf Deutsch heisst das «Freudenstab», was wie ein Synonym für den Penis klingt. Es verwundert nicht, dass in der männlich dominierten Gamerszene ein solches Szenewort entsteht. Doch wie konnte es passieren, dass sich ein so anstössiger Begriff im Silicon Valley durchsetzt, das sich immer so prüde gibt?

Die «New York Times» ist diesem Widerspruch 2005 nachgegangen. Die Zeitung entdeckt den Joystick schon 1910 im Oxford English Dictionary. Das Wort hat dort im Windschatten der jungen Luftfahrtindustrie in seiner ursprünglichen Bedeutung als Steuerknüppel eines Flugzeugs Einzug gehalten. Mit der «Joy» (Freude) könnte das Hochgefühl gemeint sein, das ein Pilot beim Abheben verspürt hat, spekuliert ein Sprachexperte. Vielleicht ist der Sachverhalt aber ganz banal. Nämlich dann, wenn nicht der französische Luftfahrtpionier Robert Esnault-Pelterie den Steuerknüppel erfunden hat, wie manche vermuten, sondern ein Erfinder aus Missouri namens James Henry Joyce – dann hätten wir es mit dem Joyce-Stick zu tun …

Ein Schelm, wer an etwas Sexuelles denkt: Ein junger Mann mit Joystick beim Spielen am Computer (1995). Foto: Getty Images

Ein Bug bezeichnet einen Softwarefehler – entstanden tatsächlich durch eine Motte, die sich im Relais verklemmte.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 15. Juni 2022

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