Mehr als Schnappschüsse

Smartphone Drei Apps für gelungene Fotos: Tipps für alle, die einen eigenen Stil bei der Bildbearbeitung pflegen, einen Sinn für Extravaganzen und keine Angst haben, sich künstlerisch auf die Äste hinauszuwagen.

Matthias Schüssler

— Pixelmator Photo: Instagram, aber individuell

Pixelmator Photo ist eine mit allen Wassern gewaschene App für die Nachbearbeitung von Bildern, mit der man seinen Fotos ein unverkennbares, konsistentes Aussehen gibt. Die App hat eine breite Palette an Funktionen, die auch den Profi entzücken; zwei ragen besonders heraus: erstens die mit ML markierten Werkzeuge. Das Kürzel steht für das maschinelle Lernen und besagt, dass die entsprechenden Funktionen mit den Methoden der künstlichen Intelligenz trainiert worden sind. In diese Kategorie gehören die automatische Bildverbesserung, die Farbanpassung, das Zuschneiden, das Entrauschen, über das Bildstörungen entfernt werden, und die Vergrösserung der Bildauflösung («Super-Auflösung»). Es gibt auch ein ML-Retusche-Instrument: Wenn man mit dem unerwünschte Elemente im Bild per Finger markiert, werden diese aus der Aufnahme getilgt und die Lücke maschinell aufgefüllt und im Idealfall harmonisch und unauffällig kaschiert.

Zweitens hält die App Effekte bereit, wie man sie von Instagram her kennt – und wie es inzwischen fast jede App tut. Die Besonderheit von Pixelmator besteht darin, dass die Effekte transparent angewendet werden: Sie stellt für jeden einzelnen Bildparameter, der durch den Effekt verändert wird, einen Regler zur Verfügung. Auf diese Weise muss man die Looks nicht pfannenfertig verwenden, sondern passt sie dem eigenen Gusto an. Es sind insgesamt mehr als ein Dutzend einzelne Einstellungen, darunter Belichtung, Färbung, Kontrast, Sättigung und Farbton. Hat man den Look für ein Bild perfektioniert, speichert man ihn als eigenen Effekt ab und darf ihn in der modifizierten Form auf weitere Fotos anwenden. Es ist auch möglich, von Grund auf eigene Stile zu kreieren, die man weitergeben – oder auch für sich selbst behalten kann.

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— Photoleap: Rezepte für kunstvolle Bildkreationen

Photoleap ist auf den ersten Blick eine Foto-App wie viele andere auch, mit der man seine Fotos nachbearbeitet und mit Filtern versieht. Aber nicht nur: Man gestaltet mit ihr auch Collagen, indem man mehrere Aufnahmen in einer Ansicht anordnet und mit Schmuckelementen versieht.

Was Photoleap im Wesentlichen auszeichnet, ist eine Funktion namens «Quick Art». Die verwandelt eine Aufnahme in eine digitale Kreation mit einem gewissen künstlerischen Anspruch. Auf der Startseite der App gibt es diverse Vorlagen für «schnelle Kunst»: Mit «surrealer Himmel» wird der Himmel in einer Landschaftsaufnahme ausgetauscht. In «Pop Art» verwandelt man ein Selfie in ein Diptychon unterschiedlich gefärbter Porträts, das natürlich von Andy Warhols «Marilyn» inspiriert ist. «Doppelbelichtung» verschmilzt eine Aufnahme – idealerweise ein Selbstbildnis – mit einer Landschaftsaufnahme.

Mit den Quick-Art-Modulen benötigt man keine Erfahrung in der Bildbearbeitung. Hilfreich sind aber eigene kreative Ideen und ein Empfinden für surreale oder extravagante Kompositionen: Nachdem Sie sich für ein Modul entschieden haben, wählen Sie die Aufnahme, die Sie Ihrer Kreation zugrunde legen möchten. Sie platzieren sie gemäss der Anweisung der App und passen die Versatzstücke an, bis das Resultat gut aussieht. Es gibt auch komplexe Kunst-Rezepte, bei denen Sie die Elemente auf mehreren Ebenen arrangieren und mit eigenen Elementen wie Texte, Formen oder Sticker ergänzen. Was diese App auszeichnet, sind die vielen Gestaltungsideen, die niederschwellig angepasst werden können – aber mit der Freiheit, dass sich die Original-Vorlagen mit Profi-Werkzeugen komplett abwandeln lassen.

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— Glitché: Wider die digitale Perfektion

Glitché ist die ideale App für Leute, die es darauf anlegen, mit den gängigen Sehgewohnheiten zu brechen. Diese App feiert die Imperfektion, indem sie Bildfehler einbaut – als ob irgendwo im Smartphone-Sensor, beim Speichern im Gerät oder während der Übermittlung via Internet etwas gehörig schiefgelaufen wäre: Die App verfremdet Aufnahmen mit Effekten, die wie bei moderater Anwendung wie kleine Bildfehler wirken, doch wenn man die Regler weiter aufdreht oder den Finger allzu wild übers Foto bewegt, kann auch komplette Verfremdung bis hin zum unidentifizierbaren Pixel-Matsch die Folge sein.

Anders als bei einer «normalen» Bildbearbeitungs-App spielt bei Glitché der Zufall eine entscheidende Rolle: Das Resultat einer Bearbeitung ist selten voraussehbar. Es kann während der Arbeit mit der App auch jederzeit «kippen» und sich komplett verändern, und da es keine «Rückgängig»-Funktion gibt, muss man jederzeit bereit sein, eine gelungene Verfremdung zu speichern, um sie für die Nachwelt aufzubewahren. Wer mag, kann auch mehrere Effekte übereinanderstülpen und die digitale Anarcho-Kunst so weit treiben, wie Fantasie und Geduld reichen. Manche der Werke lassen sich nicht nur als statisches Bild, sondern auch als animiertes GIF exportieren und beim Speichern mit 3-D-Objekten, einem Text oder Stickern ergänzen.

Bei dieser App macht man Kunst – man wird allerdings das Gefühl nicht los, dass man selbst Teil einer Performance ist, die der Erfinder der App, Vladimir Schrader, gerade mit den Nutzern abhält.

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Auf dem Schiff lässt es sich prima fotografieren. Aber: Selfie muss nicht gleich Selfie sein. Foto: Urs Jaudas

Glitché feiert die Imperfektion, indem sie Bildfehler einbaut, als ob irgendwo etwas gehörig schiefgelaufen wäre.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 30. März 2022

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