Digitale Isolation

«Runet»: Russland isoliert sich auch im Internet immer mehr

Russlands Website-Betreiber sind seit Jahren dabei, die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Experten befürchten ein komplett abgekoppeltes «Runet».

Matthias Schüssler

Das Internet ganz nach dem Willen des Präsidenten: Hier während einer Ansprache an die Nation, während die Menschen im russisch kontrollierten Donezk feiern.

In Russland ist ein immer grösserer Teil des globalen Internets nicht mehr zugänglich: Viele internationale News-Websites sind seit dem Einmarsch in die Ukraine blockiert. Twitter, Facebook und Instagram können nicht oder nur eingeschränkt aufgerufen werden.

Neben dieser behördlich verordneten Zensur haben sich viele Techkonzerne zum Rückzug entschlossen. Netflix ist für russische Kunden nicht mehr erreichbar; Microsoft und Adobe verkaufen keine neuen Produkte mehr. Das gilt auch für Clouddienste und Mietsoftware. Bestehende Abos laufen bei beiden Konzernen vorerst weiter. Eine bedeutsame Ausnahme erwähnt Adobe in einem Blogpost: Von den russischen Behörden kontrollierte Medien haben per sofort keinen Zugang mehr zu den Clouddiensten des Unternehmens.

Softwarepiraterie und illegale Tauschbörsen

Als Gegenmassnahme scheint die russische Regierung mit der Idee zu liebäugeln, die Gesetze gegen Softwarepiraterie aufzuheben, sodass benötigte Softwareprodukte als Schwarzkopien weiterverwendet werden könnten. Gemäss einem Tweet der Newsseite Gazeta.Ru will ein Duma-Abgeordneter mit einer ähnlichen Methode auch den Bann der Hollywoodstudios unterlaufen: Filme, die im Land nicht mehr veröffentlicht werden, könnten gemäss Dmitri Ionin der Bevölkerung über die Tauschbörse RuTracker zugänglich gemacht werden.

Ist eine Website in Russland gesperrt?

Ob eine Website in Russland gesperrt oder zugänglich ist, lässt sich über mehrere Dienste überprüfen: Einer davon ist Isitblockedinrussia.com, ein weiterer findet sich unter Comparitech.com (Direktlink unter Bit.ly/blockedinrussia). (schü)

Derweil treibt die russische Regierung die Abkoppelung vom Internet weiter. Einem Reuters-Bericht zufolge hat die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor Google aufgefordert, die Verbreitung von russlandfeindlichen Videos so schnell wie möglich einzustellen. Einer anonymen Quelle zufolge könnte Youtube ansonsten bereits diese Woche gesperrt werden.

Volle Kontrolle im Staatsinternet

Seit 2016 müssen Website-Betreiber personenbezogene Daten von Staatsbürgern auf Servern im Land speichern. Sie sind auch angehalten, Komponenten von Anbietern aus dem Ausland zu reduzieren. Das gibt zu Spekulationen über Pläne Anlass, nach denen Russland sich komplett abschotten könnte. Ein weiteres Indiz ist das «Runet», das 2019 gesetzlich beschlossen wurde. Es beinhaltet eine Netzinfrastruktur, die dem russischen Gesetz unterstellt ist und die der Staat zunehmend rigide kontrolliert.

2021 hat ein Test stattgefunden, ob sich das «Runet» vom globalen Internet abkoppeln liesse: Zwischen Juni und 15. Juli 2021 mussten die Internetprovider den gesamten Datenverkehr über die einheimischen Leitungen verteilen. Das war damals als Übung für externe Störungen und Blockaden deklariert worden, aber das Schweizer Techjournal «Inside IT» hat schon damals geurteilt, dass Putin «ein Staatsinternet und die volle Informationskontrolle» wolle.

Wie weit sich die russische Internetinfrastruktur vom globalen Netz abtrennen liesse, hat die Regierung 2021 in einem Experiment ausgelotet.

Ob und wie sich diese Abkoppelung realisieren lässt, hat das Techmagazin «MIT Technology Review» detailliert analysiert. Eines ist jedoch klar: Die Gefahr ist real, dass das globale Internet zunehmend in einzelne Ländernetze zerfallen könnte. Die Icann, die Non-Profit-Organisation, welche die Adressvergabe im Internet beaufsichtigt, pocht auf die Einheit des Netzes: «Wie Sie wissen, ist das Internet ein dezentralisiertes System. Kein einzelner Akteur hat die Möglichkeit, es zu kontrollieren oder es abzuschalten», schrieb der Präsident der Organisation in einer Antwort an den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine, Michailo Fedorow, der die ICANN aufgefordert hatte, sämtliche .ru-Adressen zu löschen.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 22. März 2022

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