Schüssler

Im Web droht eine Monokultur von Google

In einem Jahrzehnt von 30 auf 3 Prozent Marktanteil: Am Niedergang des Firefox-Browsers gibt es nichts zu beschönigen. Die Stimmung bei der Stiftung, die sich fürs freie Web einsetzt, ist entsprechend: «Google Chrome hat den Browserkrieg gewonnen», zitierte das Techmagazin «Wired» kürzlich einen Mitarbeiter der gemeinnützigen Mozilla-Stiftung, die das Programm seit zwanzig Jahren entwickelt. Ein Ex-Angestellter doppelte nach, es sei nicht damit zu rechnen, dass dieser Asche noch ein Phönix entsteigen werde.

Der erklärte Sieger im Browserkrieg heisst Chrome. Er hat seinen Marktanteil seit 2011 von unter 25 auf 65 Prozent gesteigert – unter dem Vorbehalt, dass die Marktanteile variieren, je nachdem, welcher Analyst sie erhoben hat. Im Trend sind sie sich einig: Google führt mit Abstand, und das nicht nur bei den Desktop-Computern, sondern auch bei den Smartphones und Tablets. Bei Letzteren beträgt der Marktanteil von Firefox weniger als ein Prozent.

2023 könnte es eng für Mozilla werden. Mozilla musste vor anderthalb Jahren 250 Leute entlassen, und ein nächster Einschnitt könnte 2023 erfolgen: Dann läuft der Vertrag mit dem Konkurrenten Google aus, der dafür sorgt, dass bei Firefox dessen Suchmaschine voreingestellt ist. Der Deal beläuft sich auf rund 400 Millionen US-Dollar pro Jahr und ist für den Löwenanteil der Einnahmen verantwortlich. Ob und in welcher Höhe er erneuert wird, ist offen.

Neben Mozilla ist auch Apple in der Defensive: Der Safari-Browser hat einen Marktanteil von 9,8 Prozent und steht bei den Desktop-Usern auf Platz zwei. Mit einem Wachstum auf zuletzt 9,5 Prozent setzt Microsoft zum Überholen an: Für den Konzern zahlt es sich aus, dass er seinen Edge-Browser den Windows-Nutzern derzeit geradezu aufdrängt.

Auch in vielen Browser-Alternativen steckt Chrome. Der Vormarsch von Edge ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass auch dessen Kernkomponenten von Google stammen: Edge basiert auf dem Chromium-Projekt, in dem Google wesentliche Teile seines Browsers als Open Source entwickelt. Die Anpassungen, die Microsoft vornimmt, betreffen hauptsächlich die Benutzeroberfläche und sind eher kosmetischer Natur. Auch weitere alternative Surfprogramme basieren auf Chromium, namentlich der auf den Schutz der Privatsphäre getrimmte Brave-Browser sowie Opera und Vivaldi, die norwegischen Ursprungs sind.

Über das Chromium-Projekt ist Googles Einfluss im Markt noch grösser, als es den Anschein hat – unabhängig sind nur Firefox und Apple. Manche fühlen sich an die Zeiten des Internet Explorer zurückerinnert, der so beherrschend war, dass sich Microsoft um Standards foutieren konnte und den Fortschritt über Jahre behinderte. Schon heute werden manche Websites nur noch für Chrome optimiert. Die grössere Gefahr ist indes, dass Google seine Marktmacht nutzt, um Technologien zu forcieren, die dem eigenen Geschäft zuträglich sind. Google hat im letzten Jahr versucht, eine neue Tracking-Methode zu etablieren. Das Projekt ist gescheitert, doch bei einem nächsten Versuch könnte das anders sein.

Das Web braucht Diversität. Für uns Nutzer ist Wahlfreiheit wichtig: Apple und Mozilla setzen sich für den Schutz unserer persönlichen Daten und gegen exzessives Tracking ein. Gerade Apple tut das effektiv – und der iPhone-Konzern ist nicht gewillt, im Kampf gegen Google die Waffen zu strecken. Jen Simmons, die zum Safari-Entwicklerteam gehört, hat es Anfang Februar auf Twitter auf den Punkt gebracht: «Wollen wir wirklich in einer Welt mit 95 Prozent Chromium-Browsern leben? Das wäre eine furchtbare Zukunft für das Web.»

Für die Vielfalt im Web sollten wir alle Firefox und Safari die Stange halten. Das erfordert noch nicht einmal ein persönliches Opfer – weil Safari und vor allem Firefox die besseren Browser sind.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 13. März 2022

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