Schüssler

Manchmal ist die künstliche Intelligenz ganz schön dumm

Wenn man sich ansieht, was künstliche Intelligenz (KI) zu leisten vermag, dann könnte man sich als Mensch klein und schäbig vorkommen: Die Computer mit ihren schlauen Algorithmen sind bei der Bearbeitung digitaler Fotos nicht nur schneller und kreativer, sie lassen sich auch von schlechtem Wetter und fotografischen Unzulänglichkeiten nicht abschrecken: Ist eine Aufnahme wegen schlechten Wetters flau und langweilig, wird sie nachträglich mit besseren Lichtverhältnissen ausgestattet. Hat der Fotograf während des Auslösens die Kamera nicht ruhig gehalten, rechnet die KI die Verwackelungen weg. Und bräuchte man ein Foto in Farbe, das seinerzeit schwarzweiss aufgenommen wurde, dann lässt sich dieses Malheur jederzeit korrigieren.

So lauten zumindest die Versprechen. Aber werden diese digitalen Zauberkünstler ihnen gerecht? Wir machen die Probe aufs Exempel.

Autoenhance.ai: Automatisch tolle Bilder?

Autoenhance.ai gehört zu den vollmundigen Produkten: 8000-mal schneller als ein menschlicher Bildbearbeiter sei die Anwendung, versichert der Hersteller. Sie optimiert vollautomatisch, etwa die Fotos von Liegenschaften auf Websites von Immobilienagenturen. Für ein Einzelbild zahlt man 1.50 Franken. Für den Test verwende ich kein Architekturbild, sondern ein Porträt im Gegenlicht des Sonnenuntergangs. Die Anforderung: mehr Pep, aber unter Beibehaltung der Abendstimmung. Verdikt: Das Aufpeppen erledigt Autoenhance nicht schlecht. Das Sujet erscheint detailreicher und prägnanter. Doch die Stimmung verhunzt sie komplett: Die KI hat sich eigenmächtig dafür entschieden, den Himmel auszutauschen. Nur dumm, dass ein azurblauer Nachmittagshimmel nicht zum Sonnenuntergang passt – dieser Fauxpas wäre dem menschlichen Bildbearbeiter nicht passiert.

Vanceai.com: Wie gut lassen sich verwackelte Fotos retten?

Auf Vanceai.com (Abos ab 10 Euro/Monat) gibt es ein ganzes Bündel an intelligenten Funktionen. Die spannendste ist der Sharpener: Er macht Bilder schärfer, vor allem auch dann, wenn sie die zittrige Hand des Fotografen verwackelt hat. Anhand eines stark verwackelten Bildes prüfen wir, ob diese App missratene Fotos rettet.

Verdikt: Das korrigierte Bild ist nicht perfekt. An manchen Stellen produziert der Algorithmus geisterhafte Doppelkanten. Dennoch ist es eine augenfällige Verbesserung: Das Original ist unbrauchbar; das korrigierte Foto mit nicht zu hohen Ansprüchen schon. Ein klarer Punkt für den Computer – von Hand lässt sich dieses Bild nicht retten.

Hotpot.ai: Naht Rettung, wenn Michael den Farbfilm vergessen hat?

Auf Hotpot.ai (kostenlos, aber offen für Spenden) gibt es nebst anderen Werkzeugen auch einen Einfärbungs-Algorithmus: Er versieht schwarzweisse Fotos mit Farbe. Das ist interessant für Leute, die ihren Archivschätzen neues Leben einhauchen wollen. Ihn testen wir mit einer authentischen Archivaufnahme in Schwarzweiss. Wie akkurat das Resultat ist, lässt sich anhand des 30-jährigen Fotos nicht sagen – aber die Software daran zu messen, wäre unfair, weil die Kolorierung nicht ohne Spekulation möglich ist: Welche Farbe insbesondere Kleider haben, weiss sie nicht und kommt ums Raten nicht herum. Entscheidender ist, ob das Resultat plausibel wirkt. Verdikt: Welche Farbe das Hemd der abgebildeten Person in Wirklichkeit hatte, werden wir nie erfahren. Die leichte Blaufärbung ist keine schlechte Wahl, doch der Stich ins Orange bei der Brusttasche und den Manschettenknöpfen gibt dem Resultat einen zu verwaschenen Look. Auch die Holztäfelung im Hintergrund wirkt zu blass. Zwar nicht schlecht – aber alles in allem ist das schwarzweisse Original überzeugender. Auch hier würde ein menschlicher Bildbearbeitungsguru besser abschneiden.

Matthias Schüssler ist Digitalredaktor der SonntagsZeitung.

Quelle: Sonntagszeitung, Sonntag, 23. Januar 2022

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