Mensch gegen Maschine

Manchmal ist die künstliche Intelligenz ganz schön dumm

Knackigere Farben, technische Perfektion und maximale Wirkung: Wenn das Eigenlob stimmt, bewirken manche Foto-Apps mittels künstlicher Intelligenz wahre Wunder. Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht.

Matthias Schüssler

Idealerweise kommen Bilder gleich perfekt aus der Kamera. Doch wo das nicht der Fall ist, will Software nachhelfen.

Wenn man sich ansieht, was künstliche Intelligenz (KI) zu leisten vermag, dann könnte man sich als Mensch klein und schäbig vorkommen: Die Computer mit ihren schlauen Algorithmen sind bei der Bearbeitung digitaler Fotos nicht nur schneller und kreativer, sie lassen sich auch von schlechtem Wetter und fotografischen Unzulänglichkeiten nicht abschrecken: Ist eine Aufnahme wegen schlechten Wetters flau und langweilig, wird sie nachträglich mit besseren Lichtverhältnissen ausgestattet. Hat der Fotograf während des Auslösens die Kamera nicht ruhig gehalten, rechnet die KI die Verwackelungen weg. Und bräuchte man ein Foto in Farbe, das seinerzeit schwarzweiss aufgenommen wurde, dann lässt sich dieses Malheur jederzeit korrigieren.

So lauten zumindest die Versprechen. Aber werden diese digitalen Zauberkünstler ihnen gerecht? Wir machen die Probe aufs Exempel.

Autoenhance.ai: Automatisch tolle Bilder?

Autoenhance.ai gehört zu den vollmundigen Produkten: 8000-mal schneller als ein menschlicher Bildbearbeiter sei die Anwendung, versichert der Hersteller. Sie ist dazu gedacht, Fotos vollautomatisch zu verschönern. Zum Beispiel jagen grosse Immobilienagenturen Fotos unzähliger Objekte durch die Optimierung, sodass jede noch so düstere Liegenschaft im besten Licht erstrahlt. Man kann die Website auch für Einzelbilder nutzen, wobei sich die gestaffelten Preise zwischen 1.50 Franken und 30 Rappen pro Bild bewegen.

Für den Test verwende ich kein Architekturbild, sondern ein Porträt im Sonnenuntergang. Es stellt gewisse Anforderungen an den Algorithmus: Einerseits soll er der wegen des Gegenlichts etwas flauen Aufnahme mehr Pep verleihen. Andererseits muss die Abendstimmung erhalten bleiben.

Autoenhance: Gut gemeint wird oft beweint.

Verdikt: Den ersten Teil der Aufgabe erledigt Autoenhance nicht schlecht: Das Sujet erscheint detailreicher und prägnanter. Beim zweiten Teil versagt die künstliche Intelligenz aber komplett: Sie hat sich eigenmächtig dafür entschieden, den Himmel auszutauschen. Nur dumm, dass ein azurblauer Nachmittagshimmel nicht zum Sonnenuntergang passt – dieser Fauxpas wäre dem menschlichen Bildbearbeiter nicht passiert.

Vanceai.com: Lassen sich verwackelte Fotos retten?

Auf Vanceai.com gibt es ein ganzes Büschel an intelligenten Funktionen: Fotos lassen sich mittels KI einfärben oder farblich korrigieren oder mit mehr Auflösung ausstatten. Die spannendste Funktion ist der Sharpener: Er macht Bilder schärfer, vor allem auch dann, wenn sie die zittrige Hand des Fotografen verwackelt hat. Anhand eines stark verwackelten Bildes prüfen wir, ob sich mit dieser App missratene Fotos in brauchbare verwandeln lassen. Es gibt für Vanceai mehrere Abos, das günstigste kostet 10 Euro pro Monat.

Nicht perfekt, doch Vanceai erzielt eine deutliche Verbesserung.

Verdikt: Das korrigierte Bild ist nicht perfekt: An manchen Stellen produziert der Algorithmus geisterhafte Doppelkanten. Dennoch ist es eine augenfällige Verbesserung: Das Original ist nicht verwendbar; das korrigierte Foto ist, zumindest wenn es nicht um Perfektion geht, brauchbar. Ein klarer Punkt für den Computer – von Hand lässt sich dieses Bild nicht retten.

Hotpot.ai: Rettung naht, wenn Michael den Farbfilm vergessen hat?

Diverse Apps im Web machen es sich zur Aufgabe, schwarzweisse Fotos mit Farbe zu versehen. Das ist interessant für Leute, die ihren Archivschätzen neues Leben einhauchen wollen. Denn zu Zeiten der analogen Fotografie wurde oft nicht mit künstlerischer Absicht monochrom fotografiert, sondern aus Kostengründen. Doch manche Sujets wirken bunt einfach lebendiger und kraftvoller.

Auf Hotpot.ai (kostenlos, aber offen für Spenden) findet sich neben diversen KI-Werkzeugen auch ein Einfärbungs-Algorithmus: Ihn testen wir mit einer authentischen Archivaufnahme, die mit schwarzweissem Film fotografiert worden ist. Wie akkurat das Resultat ist, lässt sich anhand des 30-jährigen Fotos nicht sagen – aber die Software daran zu messen, wäre unfair, weil die Kolorierung nicht ohne Spekulation möglich ist: Welche Farbe insbesondere Kleider haben, weiss sie nicht und kommt ums Raten nicht herum. Entscheidender ist, ob das Resultat plausibel wirkt.

Nicht völlig daneben, aber auch nicht hundertprozentig überzeugend.

Verdikt: Wie erwähnt: Welche Farbe das Hemd in Wirklichkeit hatte, werden wir nie erfahren. Die leichte Blaufärbung ist keine schlechte Wahl, doch der Stich ins Orange bei der Brusttasche und den Manschettenknöpfen gibt dem Resultat einen zu verwaschenen Look. Auch die Holztäfelung im Hintergrund wirkt zu blass. Nicht schlecht. Alles in allem ist das schwarzweisse Original überzeugender. Auch hier würde ein menschlicher Bildbearbeitungsguru besser abschneiden.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 19. Januar 2022

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