Viel Profit, wenig Ideen

Jahresrückblick Was haben die grossen Techkonzerne 2021 geleistet? Digital-Redaktor Matthias Schüssler schaut zurück und beurteilt, wie innovativ, kreativ und nutzerfreundlich Apple, Google, Facebook und Microsoft in diesem Jahr waren.

Bei Google ist das Ideenfeuerwerk verpufft

Google war über lange Jahre der Konzern, der mit einem rasanten Tempo neue Produkte in die Welt setzte. Google trieb die Branche vor sich her, setzte Massstäbe und liess der Konkurrenz keine Verschnaufpause.

Doch dieses Feuerwerk an Innovationen ist verpufft. 2021 gab es kein neues Produkt und keine Ankündigung, mit der Google die Welt in Staunen versetzt hätte. Die beiden neuen Pixel-Smartphones sind wohlwollend aufgenommen worden, doch Youtube Shorts gilt als uninspirierte Kopie des Videodienstes Tiktok. Die letzte grosse Lancierung war 2019 Stadia, ein Streamingangebot für Videospiele, das inzwischen als Flop gilt.

Google ist in einer neuen Phase angekommen: In der geht es um Konsolidierung – und auch um Monetarisierung. Vorbei ist die Zeit, in der es bei Google alles gratis gab. Das zeigt sich bei Google Fotos: Dort ist seit Ende Mai Schluss mit dem unbeschränkten Speicherplatz. Es gilt jetzt eine Beschränkung auf 15 GB. Wer mehr braucht, muss bezahlen. Auch bei Youtube ist der Drang zum Profit spürbar: Die Videoplattform hat den Anteil der Werbung massiv erhöht. Sie promotet ihr Premium-Abo, das kostenpflichtige Funktionen enthält, die es früher in Apps von Drittherstellern gratis gab.

Google ist dabei, Profit aus der Marktmacht zu schlagen, und das bekommen auch die Youtuber zu spüren. Das goldene Youtube-Zeitalter sei vorbei, hat der Tech-Blog «The Verge» schon 2019 geunkt: «Die Plattform wurde auf dem Rücken unabhängiger Kreatoren aufgebaut, aber jetzt lässt Youtube sie zugunsten traditionellerer Inhalte im Stich.»

Schliesslich zeigte Google auch Bestrebungen, das Netz zu seinen Gunsten umzubauen: Der Konzern hat in diesem Jahr die Art und Weise verändert, wie Chrome mit den Cookies umgeht. Auf den ersten Blick scheint das zu weniger Nachverfolgung der Benutzer zu führen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass das Tracking nur für die Konkurrenz schwieriger wird. Google hingegen erfährt eher noch mehr als zuvor. Wenn das so weitergeht, wird die Politik 2022 nicht um stärkere Regulierung herumkommen.

Google-Stand am Internet Governance Forum der UNO. Foto: Getty Images

Apple bewirtschaftet meisterhaft unsere Aufmerksamkeit

Apple hat dieses Jahr einige neue Produkte lanciert. Am wichtigsten sind die beiden Prozessoren M1 Pro und M1 Max, die beeindruckende Leistungsdaten vorweisen. Die neuen Modelle bei iPhone und iPad sind gute Weiterentwicklungen, und auch abseits der Hardware gab es einige interessante Neuerungen: Mit Shareplay können Anwender via Facetime-Messenger gemeinsam Musik hören und Filme ansehen, und beim Streamingdienst Apple Music bekommt man nun Musik nicht nur in hochauflösender Qualität, sondern auch in Raumklang zu hören.

Trotzdem: Wer auf eine Tech-Revolution gehofft hatte, wurde enttäuscht: Es gab weder eine Cyberbrille noch ein Auto von Apple und auch keine Konkurrenz zur Google-Suchmaschine. Dennoch hat es Apple verstanden, Schlagzeilen zu generieren – so sehr, dass es manchen zu viel geworden ist.

Denn während Apple die gut geölte PR-Maschine am Laufen hält, ergeben sich zwei Gefahren: Erstens könnten die wirklich wichtigen Neuerungen unter die Räder geraten. Dieses Jahr hat Apple einiges gegen die Datensammelwut von App-Betreibern unternommen, was nur wenig zur Kenntnis genommen wurde.

Zweitens besteht die Gefahr, dass Apple vor lauter Begeisterung über sich selbst nicht mehr mitbekommt, wenn sich Unmut bildet. Das war dieses Jahr gleich zweimal zu beobachten: Die protektionistische Haltung, die Apple bei seinem App-Store an den Tag legt, ist aus einer Geschäftslogik heraus verständlich, doch den Nutzern je länger, desto weniger vermittelbar.

Die grösste PR-Panne war der Plan, das iPhone mit einem sogenannten CSAM-Scanner auszustatten. Er sucht auf dem Gerät nach kinderpornografischem Material. Doch bislang ist es ein Tabu, eine solche Überprüfung auf den Geräten der Nutzer durchzuführen – denn die Erwartungshaltung besteht zu Recht, dass diese nur auf richterliche Anordnung antastbar sind.

Apple-Chef Tim Cook stellt im September das iPhone 13 vor. Foto: Keystone

Microsoft fällt in alte Muster zurück

Microsoft hat dieses Jahr damit zugebracht, die PC-Welt zu verunsichern. Im Juni orakelte der Chef persönlich, Satya Nadella, eines «der wichtigsten Updates des Jahrzehnts» stünde bevor. Dieses Update erschien am 5. Oktober 2021 und zeichnete sich dadurch aus, dass viele der Innovationen von Windows 10 sangund klanglos verschwinden: Die Kacheln sind weg, ebenso die 2018 eingeführte Zeitleiste.

Neue, nennenswerte Funktionen gibt es nicht. Trotzdem setzt Windows 11 die Hardwareund Sicherheitsanforderungen so hoch an, dass viele in Betrieb befindliche Computer nicht kompatibel sind. Das Fachmagazin «Heise» hat nachgewiesen, dass, bereits während Windows 11 in Umlauf kam, bei den Computerhändlern noch Windows-10-PCs standen, die die Ansprüche des Betriebssystems nicht erfüllten. Da Microsoft Windows 10 im Oktober 2025 aus dem Verkehr ziehen wird, werden diese Computer schon in vier Jahren obsolet sein.

Das könnte Berge von Elektroschrott zur Folge haben. Und diese Verkaufsaktion kommt zur Unzeit, nämlich während einer globalen Pandemie, in der obendrein eine Chip-Knappheit herrscht und in der sowohl Unternehmen als auch Private dringendere Probleme haben als die Frage, ob und wie sie auf Windows 11 wechseln sollten.

Doch Microsoft will wieder tonangebend sein. Das zeigt sich auch bei der Art und Weise, wie der Konzern dem eigenen Edge-Browser einen grösseren Marktanteil verschaffen wollte. Dafür greift er auch zu fragwürdigen Mitteln: Bei bestimmten Funktionen ignorieren Windows 10 und 11 den Wunsch des Anwenders, standardmässig Google Chrome oder Firefox zu verwenden, und mit diversen Tricks sollen die Nutzer alternativer Browser zu Edge zurückgelotst werden.

Das neue Selbstvertrauen könnte damit zu tun haben, dass Microsoft bei Azure in der Pandemie massiv zulegen konnte: Die Cloud-Computing-Plattform hat dem Börsenwert zu einem ungeahnten Höhenflug verholfen, sodass Microsoft dieses Jahr zu Apple aufschliessen konnte. Windows ist inzwischen nur noch ein Anhängsel.

Windows 11 ist da: Microsoft-Werbung in Hongkong. Foto: Getty Images

Totaler Realitätsverlust bei Facebook

Welcher Techkonzern dieses Jahr am meisten enttäuscht hat, steht ausser Frage: Es kann kein anderer sein als Facebook. Zwar haben in der Pandemie auch andere Kommunikationsmittel keinen guten Eindruck hinterlassen – namentlich der Messenger Telegram, der zu einem Hort der Wutbürgerinnen, Unzufriedenen, Aufrührer und Anstachlerinnen wurde.

Doch Facebook, beziehungsweise Meta, wie der Konzern seit Oktober 2021 heisst, ist nun einmal der grösste Social-Media-Konzern der Welt und muss Prügel auch stellvertretend für die anderen Mitbewerber einstecken. Denn für den Primus wiegt die Verantwortung am schwersten. Wenn Facebook in diesem Jahr ernsthafte Bemühungen gegen den Hass und die Verhärtung der gesellschaftlichen Fronten unternommen hätte, dann hätte das Signalwirkung gehabt

Sieht man sich die geschäftliche Seite an, dann stellt man fest, dass 2021 ein hervorragendes Jahr war: Facebook ist nicht nur weiter gewachsen, sondern hat allein im dritten Quartal einen satten Gewinn von fast 9,2 Milliarden US-Dollar gemacht. Das ist zwar kein Rekord (im letzten Quartal 2020 waren es 11,2 Milliarden gewesen), aber angesichts der schlechten Presse ist das trotzdem bemerkenswert.

Und es passt ins Bild: Denn wir wissen aus den Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen, dass Meta den geschäftlichen Erfolg über das Wohl der Nutzer stellt. Viele der negativen Auswirkungen bei Facebook und Instagram liessen sich reduzieren, wenn Facebook gewillt wäre, dafür einen Rückgang beim Umsatz in Kauf zu nehmen. Dass der Konzern nicht gewillt ist, diese Verantwortung wahrzunehmen, wissen wir dank den Enthüllungen in den «Facebook Papers».

Stattdessen hat Mark Zuckerberg uns Ende Oktober vom Metaversum vorgeschwärmt. Das zeigt, dass Zuckerberg komplett verkennt, was die Welt jetzt von ihm und seinem Unternehmen erwartet.

Beunruhigt übers Metaversum: Whistleblowerin Frances Haugen. Foto: AFP

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 29. Dezember 2021

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